Was man wissen muss, wenn nichts mehr geht
Das Handbuch für den Neustart der Welt
Der britische Astrobiologe Lewis Dartnell fasst in seinem "Handbuch" Basiswissen zusammen, das für wahrscheinliche Lebensumstände nach einer Apokalypse hilfreich sein könnte.
8. April 2017, 21:58
Stellen Sie sich vor, die Apokalypse verschont ausgerechnet Sie und Sie überleben den Weltuntergang. Was tun ohne gewohnte Infrastruktur? Wie geht es weiter?
Feuer machen, jagen und sammeln dürften ja vielleicht noch aus der Jugend im Pfadfinderlager geläufig sein, aber wie steht es mit der Herstellung eines funktionstüchtigen Verbrennungsmotors, einer Uhr oder eines Mikroskops? Wie baut man Nutzpflanzen an und stellt Kleidung her?
Genau bei diesen - vielleicht lebensentscheidenden - Fragen setzt der britische Astrobiologe Lewis Dartnell an. In seinem "Handbuch für den Neustart der Welt" fasst er "alles, was man wissen muss, wenn nichts mehr geht" zusammen.
Zitat
Die Menschen in den Industriestaaten haben keinen Bezug mehr zu zivilisatorischen Prozessen, die ihre Existenz sichern. Um in einer postapokalyptischen Welt zu überleben, müsste man die Uhr zurückdrehen und diese Grundfertigkeiten wieder erlernen.
"Heilige Schrift der neuen Welt"
Lewis Dartnell ist weder ein paranoider Apokalyptiker noch wünscht er sich oder dem Rest der Menschheit, dass das zusammengefasste Wissen seines Handbuches einmal über Leben oder Tod entscheiden wird. Doch man kann nie wissen oder wie es die "Times" in ihrer Rezension zusammenfasst: "Sollte die Welt nicht untergehen, ist dieses Buch eine großartige Lektüre. Und wenn doch, wird es die Heilige Schrift der neuen Welt sein."
Aber zurück zum Untergang. Egal ob ein tödlicher Virus, eine atomare Katastrophe oder etwa auch ein Asteroidenhagel der Welt das Licht ausschaltet, der Autor geht für sein Buch von der Annahme aus, dass ein kleiner Teil der Menschheit überlebt. Selbst in einem extremen Weltuntergangsszenario müsste dieser sich wahrscheinlich nicht sofort selbst versorgen.
Kollektives Wissen
Zunächst stünde ja noch eine ganze Menge an Vorräten zur Verfügung. Diese Überreste stellen, so Dartnell, aber lediglich einen Sicherheitspuffer dar, der den Übergang zu dem Zeitpunkt erleichtert, an dem das Sammeln, Beschaffen und Produzieren von neuem beginnen müsse. Das elementarste Problem dabei: Das menschliche Wissen ist mittlerweile so kollektiv, dass kein Einzelner allein genügend Wissen haben kann, um die lebenserhaltenden Prozesse der Gesellschaft am Laufen zu halten.
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Selbst wenn ein fähiger Techniker einer Stahlgießerei überleben sollte, würde er nur die Einzelheiten seines Jobs kennen, nicht die Teilmengen an Wissen, die andere Arbeiter in der Gießerei besaßen und die unverzichtbar sind, um sie weiter zu betreiben.
Schlüsselinformationen
Natürlich geht es nicht darum, das gesamte Wissen der Menschheit aufzuzeichnen, sondern Basiswissen zusammenzufassen, das für wahrscheinliche Lebensumstände zugeschnitten ist. Aber welche Schlüsselinformationen muss ein Ratgeber enthalten, der den Überlebenden tatsächlich weiterhelfen könnte?
Dazu muss man sich eine wahrscheinliche Variante eines postapokalyptischen Szenarios vor Augen führen. Zunächst einmal wird die Natur sich relativ zügig die urbanen Räume zurückerobern. Gebäude werden verfallen und verwittern. Die Gefahr für Brände wird steigen. Da der größte Teil der Menschheit tot ist, werden Unterkünfte vermutlich keine Mangelware, die Kleiderordnung wird eher pragmatisch sein: strapazierfähiges Material, solide Regenjacken und mehrere Schichten schlägt der Autor vor. Ja sogar für das richtige Schuhwerk hat er handfeste Tipps:
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Feste Wanderschuhe mögen nicht sehr glamourös aussehen, aber in einer postapokalyptischen Welt wollen Sie ganz bestimmt nicht den Halt verlieren und sich einen Knöchel brechen.
Erd- und Gerätekunde
Eine der ersten Herausforderungen wird es nun sein, die Landwirtschaft wieder in Gang zu bringen. Die entscheidende Frage dabei: Wie stellt man sicher, dass aus dem Samen, den man aufs Feld streut, tatsächlich die Nutzpflanze wird, die man noch vor Wintereinbruch abernten kann? Lewis Dartnell zeigt nicht nur auf, welche Gefahren lauern: - Schädlinge, Pilze, Unkraut, - sondern liefert auch eine kleine Einführung in Erd- und Gerätekunde. Schließlich wird es nicht reichen, nur sich selbst zu versorgen:
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Es spielt keine Rolle, wie viel industrielles Wissen oder wissenschaftliche Neugier nach der Apokalypse übrig ist, wenn die Überlebenden nur damit beschäftigt sind, überhaupt am Leben zu bleiben. Ohne Nahrungsmittelüberschüsse kann eine Gesellschaft sich nicht komplexer organisieren oder Fortschritte erzielen.
Woher bekommt man sauberes Trinkwasser, wenn die Wasserversorgung zusammengebrochen ist? Wie produziert man Seife, um Infektionskrankheiten vorzubeugen? Wie stellt man Mörtel und Zement her, um Häuser wieder aufzubauen? Wie Papier, Batterien oder Holzkohle? Auf 325 Seiten erklärt der Autor, wie man aus einfachsten Mitteln komplizierte und hilfreiche Geräte bauen und überlebensnotwendige Substanzen erzeugen kann.
Ressource Wissen
Die wertvollste Ressource, die sich Überlebende sichern sollten, ist allerdings Wissen. Lewis Dartnell wünscht sich, dass durch das Nachdenken über die Quintessenz der gegenwärtigen Welt auch eine Wertschätzung der Dinge, die viele für selbstverständlich erachten, entsteht:
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Ein überreiches Angebot an vielfältigen Nahrungsmitteln, eindrucksvoll wirksame Medikamente, mühelose und bequeme Reisen und Energie im Überfluss.
Für die MacGyvers und technisch Interessierten finden sich Anleitungen zur Herstellung von Wasserrädern, Windmühlen, Verbrennungsmotoren, Hochöfen, Uhren, sowie Schaltpläne für einfache Funkempfänger und vieles mehr. "Das Handbuch für den Neustart der Welt" liefert ausführliche Informationen über praktische Schlüsselkompetenzen und zivilisatorische Abläufe. Bleibt nur noch zu hoffen, dass wir das Buch nie brauchen werden.
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Dies ist die Blaupause für eine Zivilisation, die sich rebootet - aber auch eine Einführung in die Grundlagen unserer eigenen Zivilisation.
Service
Lewis Dartnell, "Das Handbuch für den Neustart der Welt - Alles, was man wissen muss, wenn nichts mehr geht", aus dem Englischen von Thorsten Schmidt, Hanser Verlag