Über das Netzwerk des Leugnens

Die Machiavellis der Wissenschaft

Stoff für einen guten Thriller birgt das Buch der amerikanischen Geowissenschaftlerin Naomi Oreskes und des Wissenschaftshistorikers Erik M. Conway: Da gelingt es einer kleinen Gruppe von einflussreichen Forschern, die Wahrheit über die Risiken des Rauchens, des Ozonlochs oder des Klimawandels zu verschleiern und sogar die Politik auf ihre Seite zu ziehen.

Keine Fiktion, sondern Realität, wie Oreskes und Conway in ihrem Buch "Die Machiavellis der Wissenschaft" überzeugend darlegen. Im englischen Original erschien das Buch bereits im Jahr 2010 unter dem Titel "Merchants of doubt", Händler des Zweifels - und wurde schnell zum Bestseller.

Vom Verrat an der Wissenschaft

"Eine meiner Freundinnen sagte mir: Dieses Buch wird sich nicht gut verkaufen, weil es keinen Sex hat. Und ich sage: aber es geht um Verrat." Es ist die Geschichte des Verrats an der Wissenschaft, sagt Naomi Oreskes, Professorin an der Harvard University. Ausgangspunkt ihres Buches war die Frage, warum gerade in den USA der Klimawandel und seine negativen Begleiterscheinungen als nicht bewiesen gelten. Und das, obwohl darüber seit Jahrzehnten ein wissenschaftlicher Konsens herrscht.

Bei ihren Recherchen stießen Oreskes und Co-Autor Conway immer wieder auf das gleiche Muster, mit der die Zweifel an der vom Menschen verursachten Erderwärmung geweckt wurden: man diskreditierte anerkannte Wissenschafts-Kollegen, streute Desinformationen und manipulierte die Medien, indem man etwa Klimaschutz-Gegner in Talkshows setzte, die wissenschaftliche Fakten schlichtweg in Frage stellten.

"Rauchen verursacht keinen Krebs"

"Wir sehen in den Umfragen, dass die Strategie sehr erfolgreich war: Es ist nicht mehr so arg wie vor ein paar Jahren, aber eine beträchtliche Anzahl von Amerikanern glaubt, dass sich die Wissenschaft noch unsicher ist, dass es dumm wäre, Maßnahmen zu ergreifen, wenn wir noch nicht einmal wissen, ob es einen Klimawandel gibt", so Oreskes. "Unser Produkt ist der Zweifel" - mit diesen Worten zitieren die Autoren einen Vertreter der Tabakindustrie, die Jahrzehnte zuvor in den USA ähnlich erfolgreich war wie es heute die Klimaschutz-Gegner sind. Dass Rauchen zu Krebserkrankungen führen kann, wurde lange geleugnet. Unterstützt wurde die Branche von Wissenschaftlern, die später andere Gefahren kleinredeten. Etwa den ebenfalls krebserregenden Dämmstoff Asbest, das Ozonloch oder den Sauren Regen.

Früher renommierte Wissenschaftler

Federführend waren durchaus renommierte Wissenschaftler, allesamt Physiker wie Frederick Seitz, der Leiter des von Ronald Reagan vorangetriebenen Raketenprogramms SDI, oder Edward Teller, der sich als Vater der Wasserstoffbombe einen Namen gemacht hatte. Was sie einte, war keine Profitsucht, meint Naomi Oreskes, sondern ihre antikommunistische Haltung.
"Diese Forscher verstanden sich als Kämpfer des Kalten Krieges, die schon im Zweiten Weltkrieg im Amerikanischen Waffen- und Raketenprogramm tätig waren. Sie glaubten daran, den sowjetischen Kommunismus abwehren zu müssen und widmeten ihr gesamtes Arbeitsleben der Idee, mithilfe von Wissenschaft und Technologie die freie Welt zu verteidigen", erzählt Oreskes. Ihre Lobbyarbeit für die Industrie sahen die Forscher nicht als Verrat an der Wissenschaft. Eher als Akt der Verteidigung ihrer politischen Ideale, meint die Autorin. Gegen Ende des Kalten Krieges wurde ein neuer Feind ausgemacht: die Umweltbewegung der 1980er Jahre.

Heute konservative Think Tanks

"Erik und ich haben gesagt, warum lassen sie 1989, als die Berliner Mauer fiel, nicht einfach die Sektkorken knallen?", erinnert sich Oreskes. "Aber stattdessen haben sie ein neues Feindbild gefunden. Den Umweltschutz, den sie als neue Form des Sozialismus sehen. Wie Wassermelonen: außen grün, innen rot. Sie glauben, dass staatliche Regulierungen zum Sozialismus führen."

Heute sind es vor allem konservative Think Tanks wie das von Edward Teller gegründete Marshall-Institut, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Sachen Klimaerwärmung anfechten. Finanziert von der Industrielobby arbeiten sie mit denselben unlauteren Mitteln, mit denen schon ihre Vorgänger die Stimmung im Land beeinflussen konnten, meint Naomi Oreskes.

"Wir nennen das die 'Strategie des Potemkinschen Dorfes'. Ideologisch geprägte Think Tanks produzieren etwas, das wie eine wissenschaftliche Arbeit wirkt", erklärt die Co-Autorin. "Obwohl sie das nicht ist, weil sie nicht auf wissenschaftlicher Forschung basiert. Sie haben Mitarbeiter, die diese Berichte direkt auf die Schreibtische der Regierungsbeamten legen. Sie senden ihnen Kopien per Mail, schreiben Briefe, in denen die Berichte angekündigt werden. Sie stellen sicher, dass Kongressabgeordnete, Senatoren und Vertreter auf lokaler und staatlicher Ebene diese Berichte bekommen. Sie sind sehr effizient, das muss man anerkennen."

Amerikaner und das Kyoto-Protokoll

Noch heute bezweifelt jeder zweite Amerikaner den Klimawandel. Ein Grund dafür, warum die USA als einziges Industrieland das als Kyoto-Protokoll bekannte Klimaschutzabkommen nicht unterzeichnet haben. Dieses verpflichtet die beteiligten Staaten, den Ausstoß klimaschädlicher Gase zu senken, was gerade für die Wirtschaft mit großen finanziellen Einbußen verbunden wäre. Geld, das sich die Industrie spart, wenn es Zweifel an dem vom Menschen gemachten Klimawandel gibt. Um unliebsame Forschungsergebnisse in Verruf zu bringen, schrecken die Industrielobby und ihre Handlanger auch nicht vor Hetzkampagnen gegen weltweit anerkannte Wissenschaftler zurück, die vor den Folgen der Erderwärmung warnen.

Auch Naomi Oreskes und ihr Co-Autor Erik M. Conway wurden seit dem Erscheinen ihres Buches immer wieder verbal attackiert: "Ja, wir werden angegriffen, bekommen Hass-Mails. Es bestätigt, denke ich, dass es Menschen gibt, die sich von der Realität des Klimawandels bedroht fühlen - davon, zugeben zu müssen, dass wir so nicht weitermachen können. Es geht nicht um Fragen der Demokratie, sondern um unsere Konsumgewohnheiten. Das ist für viele Menschen extrem bedrohlich. Und weil es bedrohlich ist, hören sie die Argumente nicht, sondern suchen nach Wegen, dich zu attackieren."

Triebfeder verlorene Zeit

Dass die finanziell gut gepolsterten Klimaschutz-Gegner meist keine Umweltforscher sind, sondern PR-Spezialisten, fällt dabei kaum ins Gewicht. Aber die Zeit für ideologische Grabenkämpfe, die sei schon längst abgelaufen, warnt Naomi Oreskes. Die globale Erwärmung sei nur noch mit größter Anstrengung zu bremsen.

"Die Uhr tickt. Was Erik Conway und mich beim Schreiben des Buches am meisten irritiert hat, war dieses Gefühl der verlorenen Zeit", erzählt Oreskes. "Wissenschaftler haben das Ausmaß des Problems schon in den 1980er Jahren erkannt. Damals wurde der Bericht des Weltklimarates veröffentlicht, der 1992 zur Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen geführt hat. 1992, das ist 22 Jahre her! Zwei Jahrzehnte sind vergangen und wir haben keinerlei Fortschritte gemacht. Ich will keine Weltuntergangsprophetin sein, aber die Hälfte aller Treibhausgas-Emissionen ist seit der Veröffentlichung des Weltklimarates 1988 passiert. Wir haben mehr als die Hälfte des Problems erst geschaffen, nachdem wir darüber Bescheid gewusst haben. Man kann niemanden verurteilen, der nicht weiß, was er tut. Aber sobald wir das wussten, hätten wir die wissenschaftliche, moralische, politische und ethische Verantwortung gehabt, etwas dagegen zu tun."

Naomi Oreskes und Erik M. Conway haben akribisch recherchiert und legen ein ebenso faktenreiches wie unaufgeregtes Lehrstück über die Allianz von Geld, Macht und Ideologie vor. Die eben erschienene deutsche Übersetzung kommt schwerfälliger daher als das englische Original. Lesenswert ist sie aber allemal.

Service

Naomi Oreskes und Erik M. Conway, "Die Machiavellis der Wissenschaft, aus dem Englischen von Übersetzt von Hartmut S. Leipner, Wiley CH Verlag