Friederike Mayröcker und die Musik
"Ich beute die Musik aus"
"Bitte um Entschuldigung, dass ich dir deinen eigenen Text vorlese!", sagt Bodo Hell beim Fest zu ihrem 85. Geburtstag, und Sonja Harter begleitet dezent am Klavier. Mayröckers Musik ist gebaut aus dem Klang ihrer Stimme, Christian Ide Hintze hat daraus ein fugiertes Hörstück komponiert. Solange ihre Stimme erklingt, ist sie, diese Stimme, die erste Instanz, "solang' ich da bin, mach' ich das".
27. April 2017, 15:40
Leise lesen, immer wieder lesen und überlegen, ob es wert ist, weiterzuarbeiten, skeptisches Denken. Und wenn es nicht wert ist? - Spazierengehen. Beim Spaziergehen fehlt die Musik. Da faszinieren die Stimmen der Vögel, denen sie auch von der Wohnung aus zuhören kann. Die Musik tritt erst wieder im Zimmer, im heißen, "verheiszenden" auf. "Ich beute die Musik aus", sagt Mayröcker, "es gibt kaum Stunden, in denen ich die Musik genieße, sie muss mir dienen. Im Augenblick, wo ich Franz Liszt auflege, bin ich schon drin im Arbeiten, das gibt Energie."
Gibt es Musik, die stört? "Carl Maria von Weber, da renn' ich davon." Neue Musik sträubt sich, sei schwer anzuhören. "Ich habe Schwierigkeiten, mit der Neuen Musik zurechtzukommen. Musik ist Einstiegshilfe, es zieht mich hinein. Ich frage mich, ob meine Dichtung zur Musik Hand in Hand geht, ich weiß nur, dass sie mit Musik entsteht." Zu manchen Zeiten ist es John Dowland, zu manchen Franz Liszt. Romantik, Schumann und Schubert am Klavier locken sie selten ins Konzert.
"Wie Hanf wogender Kniefall"
Es geschieht etwas mit ihrer Dichtung, wenn etwa Beat Furrer Mayröcker vertont, "auf tönernen Füßen", ein Vers geht so: "etwas wie Hanf wogender Kniefall mitten in schönen Pfauen (Schalmeien)". "Obwohl ich Flöte sonst nicht ertragen kann, war ich von seinem Stück begeistert." Die Komposition Furrers ist unhierarchisch, sie gibt weder der Flöte noch der menschlichen Stimme die Oberhand, das entspräche dem Werk Mayröckers, das auch bis in die Zeichensetzung eine hierarchielose Kunst ist.
"Ich möchte gern Malerin sein", sagt Mayröcker, die Komponiersehnsucht vieler ihrer Dichtungskolleg/innen teilt sie nicht. Ein Libretto würde sie gern machen, noch ist sie nicht gefragt worden. Die Musik ist eine Referenz: "Ich sitze gebückt fast kniend (wie Glenn Gould beim rasenden Spiel), man musz warten können, bis es einschnappt, ich brauche eine hohe Zimmertemperatur und elektrisches Licht, auch wenn die Sonne hereinscheint." Die Musik dient dem Vergleich, wenn sie "den Geist der Quadrille" liebt, wenn Fenster und Bergspitzen klirren, und im Glyziniengarten Gesänge - ja - es fehlt das Verb.
Sie liebt es, ihre Stimme in großen Räumen zu hören, je mehr Leute, desto besser, "wenn man das Gefühl hat, es gibt nur noch Ohren, die da sind."
