Russland: Ärzte und Patienten protestieren
Tausende Ärzte, Krankenschwestern und Patienten haben gestern in mehreren russischen Städten gegen eine geplante Gesundheitsreform protestiert. Diese sieht vor, dass das veraltete Gesundheitssystem optimiert wird. Dazu werden zum einen viele Kliniken neu ausgestattet, andere jedoch geschlossen. Tausende Arbeitsstellen gehen verloren. Besonders betroffen ist die Hauptstadt Moskau: Dort sollen bis zum Frühling knapp 30 Spitäler geschlossen werden. Ärzte, Schwestern und besorgte Bürger gehen dagegen auf die Strasse. Sie befürchten eine Kommerzialisierung der Medizin und dass die ohnehin schon oft schlechte medizinische Versorgung in Russland nun völlig zusammen bricht.
8. April 2017, 21:58
„Keine Kürzungen, keine Kürzungen!“, rufen die Kundgebungsteilnehmer, die der eisigen Kälte in Moskau ihre Stirn bieten. Mehrere Tausend sind gekommen, Ärzte und Krankenschwestern, aber auch besorgte Bürger, wie eine Pensionistin: „Wochenlang muss man auf einen Termin beim Arzt warten und da wollen sie noch kürzen?" Ihre Begleiterin stimmt ihr zu: "19.000 Rubel Gehalt bekommt meine Tochter als Mitarbeiterin in einem medizinischen Labor. Davon kann man doch nicht leben." Mit 19.000 Rubel verdient die Laborassistentin umgerechnet etwa 350 Euro.
Die geplante Gesundheitsreform sieht vor, dass die bisher vor allem öffentlich finanzierten medizinischen Einrichtungen künftig selbsttragend arbeiten sollen. Das entspreche den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation, begründet die Moskauer Stadtregierung. Dazu werden Kliniken zusammengelegt und geschlossen. Allein in Moskau sollen bis zu 28 medizinische Einrichtungen geschlossen werden, tausende Stellen gestrichen.
"Gesundheitssystem ist ein leeres Wort"
Ihren Job verliert auch die Kinderärztin Alexandra. "Keine Ahnung, was ich danach mache", sagt sie. Und kritisiert, dass ausgerechnet die älteren Ärzte gekündigt würden, und damit jene, die noch eine gute Ausbildung genossen und Erfahrung gesammelt haben. Nun würden nur noch die unerfahrenen, schlecht ausgebildeten Ärzte zurückbleiben.
Den totalen Zusammenbruch des Gesundheitssystems progonostiziert der Psychiater Sergej Wjetorschki. „Der Begriff Gesundheitssystem in Russland ist schon heute ein leeres Wort, genauso wie die kostenlose Medizin. Die gibt es offiziell nur in Kuba, Nordkorea und Russland, das sagt alles."
Tatsächlich existiert die sogenannte „kostenlose medizinische Versorgung“ in Russland oft nur auf dem Papier. Sie bedeutet wochenlanges Warten auf Arzttermine und Quoten für Operationen. Oft erleben sie die Patienten gar nicht mehr. Wer eine bessere Versorgung will, muss zahlen.
Unterdessen haben die Sorgen der wütenden Ärzte auch Präsident Putin erreicht. Die ersten sozialen Proteste in Russland seit langem kommen ungelegen in einer Zeit, wo die Wirtschaft ohnehin vor einer Rezession steht. Putin kritisiert die Massenkündigungen in Moskau als nicht durchdacht und sagt, er habe mit der Stadtregierung gesprochen. Doch die Ärzte bleiben misstrauisch - und kündigen weitere Kundgebungen an.