Warum Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind
Die Alles-ist-möglich-Lüge
Die Journalistinnen Susanne Garsoffky und Britta Sembach haben beruflich zurückgesteckt, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben. Ihr Beispiel empfehlen sie nicht zur Nachahmung. Ganz im Gegenteil: Sie präsentieren Vorschläge und Forderungen.
8. April 2017, 21:58
Natürlich sind Familie und Beruf zu vereinbaren. Aber nur zu einem Preis, der bei vielen Frauen mit einem Stoßseufzer zusammengefasst wird: Ich kann nicht mehr. Zu der Erschöpfung kommt oft noch ein schlechtes Gewissen oder das Gefühl, immer irgendwo etwas zu verpassen. Susanne Garsoffky und Britta Sembach waren nicht mehr bereit, diesen Preis zu zahlen - und steckten beruflich zurück bzw. machten sich selbstständig, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben. Und das, obwohl diese über das betreuungsintensive Kleinkindalter hinaus waren. Garsoffky und Sembach hatten gedacht, alles richtig gemacht zu haben:
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Die Kinder brav nach einem halben Jahr in die Kinderkrippe oder zumindest wochenweise an den Vater übergeben - nur nicht zu lange Ausfallzeiten im Job. Den richtigen Mann an der Seite, der Elternzeit genommen und konsequent auf Homeoffice bestanden hat. Auf dem Dreh, im Schnitt und in der Redaktion höchstens ein paar Anekdoten aus dem Familienalltag. Und erst auf dem Weg nach Hause die Angst, ob auch alles geklappt hat mit der neuen Kinderfrau, und die Trauer darüber, dass der Nachwuchs schon wieder schläft, wenn man endlich die Tür aufmacht. Wir und unsere Familien haben am eigenen Leib erlebt: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt es nicht. (…) es gibt nur ein Nebeneinander zweier völlig unterschiedlicher Lebensbereiche, die sich, wenn man sie gleichzeitig ausübt, einfach nur addieren.
Diese These untermauern die Journalistinnen mit einer fundierten Recherche und decken dabei fünf große Bereiche auf, in denen die Gesellschaft sich in die Tasche lügt.
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Lüge Nummer 1: Ich arbeite, also bin ich
Die Wurzel des Übels liegt für die Autorinnen im Primat der Erwerbsarbeit bzw. dem Leitbild des autarken Erwachsenen und der damit einhergehenden Entwertung des Privatlebens und der Fürsorge, die zu einer schleichenden Aushöhlung des Solidaritätsgedankens führe. Aber Familie bedeutet seit der Moderne auch die Nähe und Verbindung zum eigenen Nachwuchs - Kategorien, die sich dem Maßstab der Wirtschaft entziehen.
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Lüge Nummer 2: Alles eine Frage der Organisation
"Wer macht was wann" lautet die Frage der Fragen in Familie und Partnerschaft. Wenn beide Eltern Vollzeit arbeiten, wird der Alltag zum Kraftakt. Aber viele Probleme lassen sich nicht einfach wegorganisieren.
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Lüge Nummer 3: Der neue Mann tut, was er kann. Außer montags bis freitags zwischen acht und zwanzig Uhr
Noch 1990 lebten 70 bis 75 Prozent aller Männer zwischen 40 und 45 mit Kindern in einem Haushalt, heute sind es nur noch 55 Prozent. Dazu kommt: Die verbliebenen sind beileibe nicht so kooperativ, wie sie sich gerne darstellen; und der rare so genannte neue Mann - ein Phänomen der Mittelschicht - sitzt ebenfalls in der Alles-ist-möglich-Falle.
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Lüge Nummer 4: Die Zukunft ist weiblich
Manche Frauen schaffen es doch? Mit Powerfrauen à la Angelina Jolie oder Ursula von der Leyen braucht man den Autorinnen nicht zu kommen. Denn diese Vorzeigefrauen haben genauso wie erfolgreiche Männer eine Phalanx an Hilfskräften im Hintergrund. Sie machen deswegen keinen Mut, sondern Druck.
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Lüge Nummer 5: Anderswo ist alles besser
Schaffen die das in Schweden und Frankreich nicht spielend? Garsoffky und Sembach halten die Erfolge und Konzepte der Vorzeigeländer nur für bedingt übertragbar oder auch übertragungswürdig. Denn auch diese Modelle degradieren Familie zu einem Nebenschauplatz des Lebens, das zunehmend der Wirtschaft untergeordnet wird.
Und gerade dagegen schreiben sie in ihrem Buch an. Gegen eine Arbeitswelt, die nur ein Alles-oder-Nichts kennt und es damit Müttern wie Vätern schwer macht, eine auch nur halbwegs befriedigende Work-Life-Balance hinzubekommen. Gegen ein Arbeitsklima, das es Frauen oft unmöglich macht, ihre Karriere nach der Karenz fortzusetzen.
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'Kind da, Job weg' ist ein weit verbreitetes Phänomen. Gerade bei Frauen in verantwortlichen Positionen oder auf dem Weg nach oben. (…) Sie wollen arbeiten - und hätten das mit den richtigen Angeboten und Rahmenbedingungen sicher auch gerne weiterhin für ihre früheren Arbeitgeber getan. Nur dass die sie leider nicht mehr wollten. (…) Das Entsetzen darüber, dass ausgerechnet ihnen so etwas passiert, macht sie sprachlos. Und sie suchen den Fehler bei sich. Vielleicht hätte ich doch nach drei Monaten wieder zurückkommen sollen? Vielleicht gleich wieder Vollzeit? Vielleicht bin ich ja selber schuld? Seid ihr nicht! Denn die oft unausgesprochenen Regeln, um in den meisten Unternehmen am Ball zu bleiben, sind: keine Ausfallzeiten, Präsenzpflicht, Vollzeit. Kinder, klar, gerne, wenn sie nicht weiter auffallen.
Garsoffky und Sembach setzen sich für eine Zukunft ein, in der Arbeit und Gemeinschaft den gleichen Wert besitzen. Und legen dafür eine Reihe von Vorschlägen vor: von lebenslaufbezogenen Arbeitszeitkonten, flexiblen Arbeitszeiten, späten Karrieren über die Anerkennung von Erziehungs- und Pflegezeiten bis zur Zweimal-75-Prozent-Karriere, die die derzeit vorherrschende Karriereverteilung von 100 plus 50 Prozent ersetzen könnte, von einer Kindergrundsicherung und einer neuen Dienstleistungskultur zur Unterstützung von Familien bis zur nur scheinbar banalen Forderung, keine Konferenzen und Besprechungen nach 16 Uhr anzusetzen.
Mit ihrem angenehm unaufgeregt geschriebenen Wut-Buch liefern Garsoffky und Sembach kein Plädoyer für die Vollzeitelternschaft und schon gar keinen Aufruf an Frauen, es ihnen nachzumachen und ebenfalls beruflich zurückzustecken, sondern einen differenzierten Beitrag zu einer Debatte, die immer noch viel zu emotional geführt wird.
Gestaltung: Kirstin Breitenfellner
Service
Susanne Garsoffky und Britta Sembach, "Die Alles-ist-möglich-Lüge - Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind", Pantheon