"Blue Ruin" - ein Anti-Rache-Thriller

Rache ist eines der beliebtesten Themen im Kino, vor allem im Mainstream. Doch damit hat der Film "Blue Ruin" wenig zu tun, auch wenn eine Rachegeschichte das Fundament bildet. Vielmehr ist der Streifen von US-Regisseur Jeremy Saulnier eine Art Anti-Rache-Thriller, der sich letztlich zum Gesellschaftsporträt auswächst.

Morgenjournal, 10.12.2014

Dwight Evans (Macon Blair) hat den sozialen Anschluss längst verloren. Seit Jahren lebt er zurückgezogen und äußerlich verwahrlost in einem Auto an einem US-amerikanischen Ostküstenstrand. Der Wagen hat Symbolkraft, er ist die titelgebende "Blue Ruin", die "Blaue Ruine". Verrostet, zerschlissen, fahruntüchtig. Mit diesem Gefährt gibt es kein Vorwärtskommen mehr, dieses Leben ist Stillstand.

Doch eines Tages erfährt Dwights trostloses Dasein eine unerwartete Wendung: Der Mörder der Eltern wird aus dem Gefängnis entlassen. Dwight spürt den Drang der Rache, macht sich auf die Reise. Die "Blaue Ruine" wird flott gemacht, der Lebenssinn reaktiviert, der Mörder - ein Mann aus einem berüchtigten Unterschichtsfamilienclan - getötet.

Die Sache entgleitet

"Blue Ruin" ist ein Road-Movie, in dem der Weg zwar in ziemlich unglamouröse Ecken der Vereinigten Staaten führt, aber vor allem in die fragile Psyche eines untypischen Rächers. Getrieben von der Wut, aber zugleich auch daran verzweifelnd, entgleitet die Sache. Unbeteiligte wie Dwights Schwester werden hineingezogen. Letztlich wird Rächer selbst zum Ziel höchst antiquierter Aufrechnungsprinzipien. Ein klassischer Rachethriller hab ihn weniger interessiert, so Regisseur und Drehbuchautor Jeremy Saulnier, sondern vielmehr was passiere, "wenn man das Testosteron einmal rausgelassen hat".

Exzessiver Waffengebrauch

Saulniers Erkundungen in den unterprivilegierten Milieus der amerikanischen Gegenwart führen auch in eine höchst brisante Diskussion, dem vorschnellen und exzessiven Gebrauch von Waffen. Der mit der Waffe hat immer recht! Man hat diesen Satz noch nicht verdaut, da kommt schon das nächste Geständnis. Schon mal jemanden getötet? "Zweimal, mit Absicht!", so die Antwort von Dwights Jugendfreund. "Es war zwar nicht beabsichtigt, aber letztlich ist der Film doch ein klares politisches Statement zur Waffendebatte", meint Saulnier.

Crowdfunding-Finanzierung

In einem klug balancierten Zusammenspiel von Eskalation und Rückzug, von Genreelementen und ihrem Bruch zugleich betreibt der Film "Blue Ruin" Ursachenforschung an gesellschaftlichen Rändern. Am Rand ist auch das Kino des Jeremy Saulnier, finanziert durch ein Crowdfunding-Projekt, originäres Independent-Kino, eines das dieses Label wirklich verdient, also nicht für Vermarktungszwecke braucht oder gar missbraucht.