Viktor Martinowitsch auf der Verbotsliste

Weißrussland ist ein weißer Fleck auf der literarischen Landkarte Europas. Was dem Publikum da bisher entgangen ist, zeigt nicht zuletzt das Romandebüt von Viktor Martinowitsch. Er ist die wohl wichtigste junge Stimme der weißrussischen Literatur. Sein in Weißrussland verbotener Roman "Paranoia" wurde jetzt ins Deutsche übersetzt.

Als letzter Diktator Europas wird Alexander Lukaschenko immer wieder tituliert - Weißrussland hat er wirtschaftlich und politisch ins Abseits manövriert. Isoliert und eingeschüchtert durch Repressionen und Zensur sind auch die Autoren des Landes.

Buchcover: Schattenriss einer Frau mit einem kleinen Menschen auf der Nase

Voland & Quist

Morgenjournal, 7.1.2015

Vor zwei Monaten wurde Viktor Martinowitsch verhaftet, während einer Lesung in seiner Heimat, in Hrodna. Jetzt wartet er auf die Anklage.

"Ich weiß nicht, was passieren wird, ob sie mich ins Gefängnis stecken oder sonst wie bestrafen", sagt der Dichter, "aber diesmal müssen sie es erklären. Sie müssen es niederschrieben, dass ich ein Krimineller bin, weil ich eine Literaturveranstaltung organisiert habe ohne offizielle Erlaubnis."

Nebenbei: sein jüngstes Buch, das er da präsentierte, habe gar nichts mit Politik zu tun, sagt Viktor Martinowitsch. In einem System der Angst darf sich niemand sicher fühlen - davon erzählt auch sein erster Roman "Paranoia", der nun auch auf Deutsch vorliegt. 2009, wenige Tage nach seinem Erscheinen, wurde das Buch in Belarus verboten.

"Ich weiß bis heute nicht, was mir vorgeworfen wird"

"Die Zensur in den postsowjetischen Ländern unterscheidet sich deutlich von der früher in der Sowjetunion. Zum Beispiel in den 60er Jahren, als Joseph Brodsky verbannt wurde, gab es einen großen Artikel in der Prawda über seine angeblichen Verfehlungen und es gab ein entsprechendes Gesetz zum Verbot seiner Bücher", so Martinowitsch. "Aber in meinem Fall - ich weiß bis heute nicht, was mir vorgeworfen wird. Sie haben den Buchhändlern gesagt: Wer versucht diesen Roman zu verkaufen, muss 500 US-Dollar Strafe zahlen. Das wird mündlich kommuniziert, es gibt da nichts Schriftliches. Ein inoffizielles Verbot kann man auch nicht anfechten. Es ist eine paranoide Situation."

Ein beklemmender Roman über die Angst

"Paranoia" ist ein beklemmender Roman über die Angst, ein virtuoser Text mit einer starken Sogwirkung. Erzählt von einer Liebe in Zeiten der Diktatur, einer Liebe im Visier des allmächtigen Geheimdienstes. Angesiedelt ist die Geschichte in einem namenlosen autoritären Staat, in dem Dissidenten spurlos verschwinden und das Misstrauen in die intimsten Gespräche reicht. Die Abhörprotokolle, die in den Text eingebaut sind, geben einen Einblick in die Geheimdienstprosa. "Ich erwähne nicht den Namen des Staates", betont Viktor Martinowitsch, "aber es ist deutlich zu erkennen worum es geht".

"Der ewige Präsident kontrolliert alles"

"Und das Zweite, was deutlich erkennbar ist, ist die Angst, von der alle Figuren ergriffen sind. Wir kennen das: Lukaschenko ist überall, seine Leute kontrollieren alles", erklärt der Autor. "Du fühlst dich ständig wie in einem Glashaus, alles was du tust ist sichtbar - jedes Gespräch via Skype, jedes Mail, das du schreibst. Und: Lukaschenko ist der ewige Präsident, seit 20 Jahren ist er an der Macht und er ist jung genug, um weitere 20 Jahre zu regieren."

"In Belarus habe es nach dem Ende der Sowjetunion keinen Versuch eines Neuanfangs gegeben", sagt Viktor Martinowitsch. "Nachdem man uns 80 Jahre lang erzählt hat, dass wir Sowjets sind, wir haben noch immer keine neue Identität gefunden."

Der weißrussisch sprechende Europäer

"Wir brauchen dringend irgendeine neue Identität und ich habe das Gefühl, dass meine Bücher dazu beitragen können. Es geht da um einen neuen Menschentyp, der nicht sowjetisch ist, ein weißrussisch sprechender Europäer, der über seine Vergangenheit Bescheid weiß, und der weiß, dass die Geschichte nicht mit der Sowjetischen Revolution begonnen hat. Die Literatur hat da schon viel Vorarbeit geleistet."

Die Literatur aus Weißrussland braucht die Aufmerksamkeit des Westens und wir brauchen mehr Texte und Übersetzungen von dieser Qualität.

Service

Viktor Martinowitsch, "Paranoia", übersetzt von Thomas Weiler, Verlag Voland & Quist
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