"Nach Europa" & "Über das Meer" in Salzburg

Zumeist erscheinen sie nur als nackte Zahlen: 30 Flüchtlinge hier, 50 dort, eine erfüllte Quote, ein neu eröffnetes Verteilerzentrum. Das Salzburger Landestheater will nun zumindest einigen von ihnen eine Geschichte und ein Gesicht geben. Zwei Texte beleuchten das Thema Flucht aus fiktionaler und aus dokumentarischer Sicht.

Premiere von "Nach Europa" und "Über das Meer" ist morgen in den Kammerspielen des Landestheaters Salzburg.

Kulturjournal, 04.02.2015

"Nach Europa" wird ein Ausschnitt aus dem Roman "Drei Frauen" von Marie NDiaye genannt, die französische Schriftstellerin hat senegalesische Wurzeln: "Ein einziges Wort und alle begannen vorwärts zu rennen. Auch ich rannte. Da war schon der Zaun. Ich lehnte meine Leiter daran, und Sprosse für Sprosse stieg ich hinauf", schreibt NDiaye in ihrem Roman.

Bis Khady diesen Zaun erreicht hat, der Europa von Afrika trennt, wird es Jahre dauern. Sie wird verletzt und vielfach geschlagen werden, wird sich prostituiert haben und von ihrem Partner beklaut worden sein. Doch bis zuletzt wird sie unerschütterlich bleiben in ihrem fast unerklärlichen Selbstbewusstsein.

Bereits für Hamburg wurde diese Romanpassage dramatisiert. In Salzburg hat Intendant Carl Philip von Maldeghem als Regisseur damit vier Schauspieler betraut, zwei Männer und zwei Frauen. "Das ist ein klassischer postdramatischer Text, in dem die reine Dialogsprache aufgehoben ist", erzählt Carl Philip von Maldeghem. "Insofern haben wir versucht in der Tradition des Verfremdungseffektes zu arbeiten: Die Schauspieler arbeiten über weiter Strecken mit einer Distanz zum Text und erlauben sich nur an einigen Stellen, die Emotionen, die dazugehören." Auch der Text "Über das Meer" verbindet Dialog mit epischen Passagen.

Zwei Texte, ein Bühnenbild

Der deutsche Journalist Wolfgang Bauer hat sich undercover syrischen Flüchtlingen angeschlossen, die von Ägypten aus Europa erreichen wollen und sich revalisierenden Schlepper- und Schmugglerbanden aussetzen müssen. Ein Text, der mit Autentizität punktet. NDaiye hingegen setzt auf poetische und eindringliche Bilder.

Zusammengehalten werden die beiden Teile des Abends durch das gemeinsames Bühnenbild von Thomas Pekny, das eine Entsprechung sucht für Orientierungslosigkeit und Monotonie: Über sandiger Fläche hängen Alu-Rohre, die bei Berührung fast wie Glocken, zugleich aber auch bedrohlich klingen. Zusammengehalten werden die Teile auch durch die Regie von Carl Philip von Maldeghem, der Intendant hat sich vorgenommen, gegen die auch in Salzburg spürbare Fremdenfeindlichkeit Zeichen zu setzen, als künstlerisches und humanitäres Statement.

"Sie sind nicht zum Spaß hier"

"Was wir hier machen ist nicht reines Absichtstheater. Aber wenn ich mir ansehe, was es gerade für Diskussionen um das Aufnahmezentrum auf dem Gaisberg gibt, dann ist dieser Theaterabend auch eine Möglichkeit, mehr über die Schicksale der Flüchtlinge zu erfahren – die überhaupt nicht zum Spaß hierhergekommen sind", so der Regisseur.

Bis dahin sollen sie, so die Intension am Landestheater, nicht nur geduldet, sondern mit Wohlwollen aufgenommen sein: Weil hinter den nackten Zahlen nun Namen, Gesichter und Geschichten sichtbar gemacht wurden.

Service

Salzburger Landestheater - Nach Europa/Über das Meer
Suhrkamp - Marie NDiaye, Drei starke Frauen

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