Ein Roman von Jochen Distelmeyer
Otis
Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer legt mit 47 Jahren sein vielerwartetes Romandebüt vor. Erzählt wird von einem in der Metropole aus Liebeskummer gestrandeten Schriftsteller, der seine Zweifel an der Funktion von Kunst und Literatur hat.
8. April 2017, 21:58

ROWOHLT
Tristan Funke ist Mitte 30 und versucht den Roman "Otis" zu schreiben. Darin nimmt die Odyssee Homers einen wichtigen Platz ein. Tristan ist ein urbaner Drifter, der sich für ein paar Tage um seine ihm anvertraute Cousine kümmern muss und selbst nicht weiß, wie er sein eigenes Leben mit verflossenen und aktuellen Liebschaften, verblassenden Männerfreundschaften und Beobachtungen über die Beobachtungen anderer im Kulturleben auf die Reihe bekommen soll.
Immer wieder betont der in Hamburg aufgewachsene Wahlberliner Jochen Distelmeyer, dass er sich als Teil eines fahrenden und singenden Gauklervolks sieht - in einer Tradition von Homer bis John Lee Hooker. Das sind gewichtige Vorgaben, die so gar nichts mit dem zu tun haben, womit normalerweise die Literatur von Popmusikern schubladisiert wird: mit einer Popliteratur, in der viel von Songs, Musikern und DJs die Rede ist.
In den 270 Seiten passiert nichts, was das Berlin der Gegenwart nachhaltig erschüttern wird. Die Kritik hat Distelmeyer dafür fast einhellig mit Verrissen eingedeckt: Der Autor habe auf geschwätzige Weise nichts zu erzählen, seine Belehrungen über die deutsche Zeitgeschichte und das Verschwinden der Erinnerung erinnerten an Wikipedia-Einträge, seine Bildungshuberei wirke manieriert und langweilig, und die Beschreibungen von nichtssagenden Textnachrichten seien hohl und banal. Nicht, dass alle Vorwürfe falsch wären, aber Distelmeyers Projekt verfolgt einen anderen Zweck und bedient sich daher oft ausdruckarmer Mittel - so wie eine dünne Stimme manchmal auch richtig gut für einen Song sein kann.
Service
Jochen Distelmeyer: "Otis", Roman, Rowohlt Verlag