Erdogan: Palast mit Speisevorkoster

Der türkische Präsident Tayyip Erdogan beschäftigt eine Gruppe an Chemikern und Ärzten, die seine Speisen untersuchen. Und das nicht nur ob sie schmackhaft und gesund sind berichtet aus der Türkei Jörg Winter.

Mittagsjournal, 6.3.2015

Aus Istanbul,

Der türkische Präsident ist für markige Sprüche bekannt. Männer und Frauen seien nicht gleich, der Westen schüre die Islamophobie, eine internationale Zinsenlobby wolle die Türkei in die Knie zwingen. Vor allem bei den frommen Wählern kommt er damit gut an. Doch werfen ihm seine Gegner zunehmend Egomanie und Prunksucht vor. Enthüllungen seines Leibarztes haben den Kritikern von Tayyip Erdogan diese Woche neue Munition gegeben. Demnach beschäftigt der Präsident eine Gruppe an Chemikern und Ärzten, die seine Speisen untersuchen. Und das nicht nur ob sie schmackhaft und gesund sind.

Gift und radioaktive Substanzen gesucht

Tayyip Erdogan ist der wichtigste Mann der Welt. Zumindest könnte die Größe seines Präsidentenpalastes dies suggerieren. Der ist 30-mal größer als das Weiße Haus in Washington. Ein mächtiges Land mit einer glorreichen Vergangenheit brauche starke Symbole sagt Präsident Erdogan. Oder Sultan Erdogan wie ihn Kritiker verspotten. Wie auch immer. Ob König, Sultan oder Pharao. Neben großen Palästen und Ländereien gab es für diese historischen Figuren vor allem ein Privileg: die Speisevorkoster, die sicherstellen sollten, dass böswillige Intrigen nicht dem eigenen Herren zum tödlichen Verhängnis würden. In Ankara ist man längst moderner.

Die Leibgerichte von Tayyip Erdogan kostet niemand vor, aber eine Gruppe an Ärzten und Labortechnikern analysiert die präsidiale Kost nach verdächtigen Substanzen und auch nach dem Nährwert bevor sie Präsident Erdogan serviert wird. Fünf Experten teilen sich täglich die 14-stündigen Schichtdienste im Palast erzählt der Leibarzt des Präsidenten der Tageszeitung Hürriyet. Untersucht würden die Speisen vor allem nach Bakterien, Gift und radioaktiven Substanzen. Das Interview des Doktors lässt die Wogen hochgehen. Für die einen ist das alles ein weiterer Beweis für den angeblichen Größenwahn des mächtigen Mannes. Für die anderen trauriger Beleg, wie vergiftet die politische Atmosphäre in der Türkei mittlerweile geworden ist.

Viele Türken nehmen es sarkastisch: „Ich und mein Freund hier trinken Tee auf der Straße ohne ihn vorher testen zu lassen. Weil wir ehrenhafter Bürger sind“ sagt dieser Mann. „Wäre ich Präsident, dann würde ich Teil des Volkes sein.“ „Kein anderer türkischer Präsident vor ihm hat jemals solche Vorkehrungen getroffen“ meint ein anderer Mann. In Europa fahren Staatspräsidenten mit dem Fahrrad. Bei uns sagen sie, sie haben für das Volk einen Palast gebaut. Nur dürfen wir uns dem Palast nicht einmal auf dreihundert Meter nähern.

Die jüngste Enthüllung mag skurril sein, sie ist aber nicht die erste, die Rückschlüsse auf das Amtsverständnis von Tayyip Erdogan zulässt. Zu Jahresbeginn ließ der Präsident bei einem Staatsbesuch im Palast 16 Krieger in osmanischen Kostümen aufmarschieren. Wer war der Krieger im Bademantel twittert der Dekan einer medizinischen Uni. Er bezieht sich auf einen Statisten, dessen Kostüm tatsächlich einem Morgenmantel gleicht. Wenige Tage später ist der Dekan sein Amt los. Menschenrechtsorganisationen zufolge droht Dutzenden Personen in der Türkei ein Gerichtsverfahren, weil sie den Präsidenten in Online-Foren angeblich beleidigt haben. Und so sind die neuen Erkenntnisse aus dem Palast in Ankara längst nicht nur eine Geschichte, die die Lachmuskeln anstrengt, sondern eine mit einer klar politischen Dimension in einem politisch tief gespaltenen Land.