Gespräch mit Sigrid Löffler
"Narrenleben" von Hans Joachim Schädlich
In seinem neuesten Kurzroman hat sich Schädlich ein Sujet aus der deutschen Geschichte vorgenommen: Er erzählt anhand historischer Quellen die Biografien dreier Hofnarren nach, deren Leben an barocken deutschen Königs- und Fürstenhöfen des 18. Jahrhunderts dokumentarisch belegt ist.
8. April 2017, 21:58
Sigrid Löffler
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Hans Joachim Schädlich, "Narrenleben", Roman, Rowohlt Verlag
Hans Joachim Schädlich, der 1935 in Reichenbach/Vogtland geboren wurde, hat eine doppelte, ost-west-deutsche Biografie. Siebzehn Jahre lang arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Linguist an der Akademie der Wissenschaften in Ostberlin, konnte aber wegen der DDR-Zensur seine regimekritischen literarischen Arbeiten nicht veröffentlichen. Nachdem er im Dezember 1976 den Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns mitunterzeichnet hatte, wurde er durch behördliche Schikanen immer mehr unter Druck gesetzt und von der Stasi überwacht. Im Dezember 1977 wurde seinem Ausreiseantrag stattgegeben, und die Familie konnte in die Bundesrepublik übersiedeln. 1986 wurde Schädlich mit seinem Geheimdienst-, Spitzel- und Polizisten-Roman "Tallhover" berühmt.
Im nun vorliegenden "Narrenleben" ist der Held des ersten Roman-Teils der aus Alt-Aussee in der Steiermark gebürtige Joseph Fröhlich: ein gelernter Müller, der erst Hof-Taschenspieler am Markgräflichen Hof in Bayreuth war, ehe August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König in Polen, an seinem Witz und Einfallsreichtum Gefallen fand, ihn in seine Residenz in Dresden holte und zu seinem Lustigen Rat ernannte, der als einziger den König sogar duzen durfte. Im zweiten Teil des Romans wird das Leben des gleichfalls historisch belegten Tiroler Handschuhhändlers und Spaßmachers Peter Proksch nacherzählt.
Zwischen diesen beiden Profi-Spaßmachern, die ihre eigene Situation nüchtern reflektieren und sich in ihrem prekären Gewerbe daher auch behaupten können, platziert Schädlich einen dritten historisch beglaubigten Narren, der zu solcher Reflexion nicht in der Lage ist: Jacob Freiherr von Gundling, den preußischen Historiker und Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, der zugleich als tragischer Hanswurst und unfreiwilliger Hofnarr zur Zielscheibe schlimmster Demütigungen und gröbster Quälereien im "Tabakskollegium" des Soldatenkönigs wurde, zum schäbigen Gaudium der Höflinge und Militärs.
In "Narrenleben" erkundet Schädlich unterschiedliche Spielarten des Humors im Lichte des Machtgefälles im Zeitalter des Absolutismus. Er kontrastiert die tatsächliche Macht barocker Fürsten mit der scheinbaren Narrenfreiheit professioneller höfischer Spaßmacher. Wie immer ist Schädlichs Blick kühl, nüchtern und von einem leisen, hintergründigen Sarkasmus geprägt. Nebstbei macht er dem Leser unauffällig klar, dass die Grenze zwischen Humor, Spott und menschenverachtender Verhöhnung fließend ist.