Harings "False Colored Eyes" im Kasino

Wohin der Zwang zur medial geleiteten Selbstoptimierung führen kann, zeigt der österreichische Choreograf Chris Haring mit seinem Liquid Loft ab heute Abend im Kasino am Schwarzenbergplatz in Wien: Das Stück "False Colored Eyes" ist eine Fortsetzung der Serie "Imploding Portraits".

Das Burgtheater muss sparen, deshalb soll das Kasino am Schwarzenbergplatz künftig multifunktionaler genützt werden, nicht nur als Sitz der Jugendtheaterschmiede, sondern auch für Kooperationen wie etwa dem Volkstheater oder ImPulsTanz.

Morgenjournal, 29.4.2015

Anfang der 1960er Jahre hat Andy Warhol Künstler wie Salvador Dali, Lou Reed, Marcel Duchamps oder Bob Dylan aber auch ganz normale Menschen von der Straße vor die Kamera gebeten. Ohne irgendwelche Vorgaben hat er das unbewegte Kameraauge drei Minuten lang auf sie gerichtet und gewartet, was passiert, was das Gesicht preisgibt.

Entstanden sind daraus rund 500 schwarz-weiße Kurzfilmchen sogenannte "screen tests", die zur Inspirationsquelle von Chris Harings neuer Arbeit wurden. "Für mich sind das choreografische Ansätze, nicht nur die Form und man sieht das Blinzeln, die Atmung, wie die vor der Kamera umgeht. Es fällt die Fassade und man sieht irgendwann in die Person auch hinein", erklärt Hring.

Was bei Andy Warhol noch neu und subversiv war - ist heute Mainstream. Die allzeit bereite Kamera am Bildschirm und am Handy ermöglicht es der Generation Selfie, sich permanent auszustellen, darzustellen, und zu inszenieren. Sozialen Medien und Plattformen, wie Facebook oder YouTube fordern: zeig dich, sag was, mach was! Wohin dieser Zwang zur medial geleiteten Selbstoptimierung führen kann, ist Thema der neuen Arbeit von Chris Haring - die zur Serie "Imploding Portraits" gehört und mit "Shiny, shiny …" begonnen hat.

Geräkelt, gerieben, gewackelt, gezappelt

Das Setting auf der Bühne besteht, wie in Warhols Experimentalfilm "Chelsea Girls", aus einer rechten und linken Leinwandhälfte, davor Mikrophone und Kameras, die von den Tänzerinnen und Tänzern permanent bedient werden. Die Projektionen geben verzerrt, zeitverzögert und manchmal unendlich vergrößert ihre Körper wider. Es wird neckisch posiert und sich geräkelt, gerieben und gewackelt, gezappelt und gekratzt und die Kamera begib sich auf Expedition durch Achselhöhlen und Zehenklüfte oder zoomt so nahe in den Rachen, dass man das Gaumenzäpfchen tanzen sieht. Die vergrößerten Nasen und Augen verschmelzen in der Projektion zu seltsamen Monstern, unterlegt von einem gespenstischen Sound.

Gegründet wurde die Tanzkompanie Liquid Loft vor zehn Jahren mit der Idee zeitgenössischen Tanz in Kontext zu anderen Kunstformen zu setzen: "Ich glaube nicht, dass es heutzutage ein ernstzunehmendes Tanzstück gibt, dass nicht gesellschaftspolitisch ist", hat Chris Haring einmal gesagt und stellt es mit der neuen Produktion "False Colored Eyes" einmal mehr unter Beweis. Premiere dieser Kooperation von Burgtheater und ImPulsTanz ist heute Abend.

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