Neo-Volkstheaterchefin Badora im Gespräch

Alles neu am Wiener Volkstheater. Anna Badora, die mit Beginn der neuen Spielzeit als Intendantin vom Grazer Schauspielhaus ans Volkstheater wechselt, hat heute Vormittag ihre Pläne für das Haus präsentiert - und da bleibt kein Stein auf dem anderen.

Anna Badora

APA/HANS KLAUS TECHT

Kulturjournal, 7.5.2015

Ibrahim Amirs "Homohalal" könnte in einem Lehrbuch für zeitgemäßes Theaterprogrammieren stehen. Die Votivkirchen-Flüchtlinge treffen sich nach 20 Jahren, um ihr Schicksal zu diskutieren. Ist dieses Stück symptomatisch für Ihren Spielplan?

Ja, ich habe mich sehr gefreut, als uns der Autor den Text zur Verfügung gestellt hat. Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen" laufen jetzt am Burgtheater, und das ist wie die andere Seite der Medaille - gleiches Thema, anderer Zugang. In Form einer leichten Komödie, ist das sehr Volkstheater-gemäß.

Sie wollen das Volkstheater hier in der Stadt stark vernetzen. Es soll in die Stadt hinausgehen, und die Stadt soll ins Theater hereinkommen. Sie haben sehr aktuelle soziale Themen, wie Nachtarbeit, Kinderarmut, Beschneidung. Warum beginnen Sie die Saison mit Gerhard Fritschs "Fasching", das Sie inszenieren werden?

Das ist eine Auseinandersetzung mit der österreichischen Mentalität. Vor einem Jahr ist das Deserteursdenkmal in Wien geschaffen worden. Die Gespräche, die wir in diesem Zusammenhang führen, verblüffen mich immer wieder. Bestimmte Ansätze sind nur ein Vorwand, um über die heutige Mentalität zu sprechen: den österreichischen Humor, Gemütlichkeit; über die österreichische Art, Dinge zu versäumen oder so zu verschleiern, dass sie nicht mehr erkennbar sind. Aber, es ist auch ein sehr komisches, bis ins Groteske gehendes, Bild eines Städtchens. Das wird das Publikum sicher auch unterhalten.

Sie bringen neue Regisseure: u.a. den Tschechen Dusan David Parizek. Er wird Handke, Bernhard und Jelinek inszenieren. Was bringt er mit, das für das Volkstheater so wichtig ist?

Ich halte ihn für einen extrem spannenden Regisseur, der in seiner puristischen Art toll mit den Schauspielern arbeiten kann. Intellektuell durchdrängt er die Stoffe derartig, dass sie später viel über die Wirklichkeit aussagen.

Hundsturm und Volkstheater in der Bezirken bekommen neue Namen: "Volx/Margareten" und "Volkstheater/Bezirke". Nur neue Namen oder generell eine neue Ausrichtung?

Wir werden auf jeden Fall versuchen, das Alte zu bewahren, aber uns schon in das Neue begeben - Inhalte, neue Spielarten. Und wir wollen neue Formate ausprobieren: z.B. Nikolaus Habjan mit "Das Wechselbälgchen". Er hat in Graz eine Inszenierung für eine Wechselbühne gemacht, die derartigen Erfolg hatte, dass wir sie in das große Haus übertragen mussten.

Das Ensemble wird fast komplett ausgetauscht. Wir wurde das vom alten Ensemble aufgenommen?

Das war für keine Seite angenehm. Mit Intendantenwechsel kommen auch neue Schauspieler und künstlerische Mitarbeiter. Das weiß jeder, der diesen Beruf ergreift. Dabei ist immer eine Portion Schmerz, aber es ist notwendig. Jeder von den neuen Regisseuren hat Schauspieler, von denen er oder sie abhängig ist.

An der Anzahl der Uraufführungen in einem Spielplan lässt sich auch die Risikobereitschaft eines Intendanten, einer Intendantin ablesen. Sie haben 22 Premieren, darunter acht echte Uraufführungen - das ist ein relativ hoher Anteil.

Ich glaube, die Kategorie "viele Uraufführungen, wenige Zuschauer" trifft heute nicht mehr zu. Andererseits mache ich mir keine Illusionen, dass so ein Umbruch in der ersten Spielzeit passiert. In Graz haben wir auch ein bis zwei Jahre gebraucht, bis wir sagen konnten, wir haben beim Publikum einen Riesenerfolg. Man muss es riskieren, denn es gibt nichts Schlimmeres, als einen Versuch auf Nummer sicher zu gehen und dann zu scheitern.