Türkei im Wahlkampf

Knapp drei Wochen vor den türkischen Parlamentswahlen werden die Töne im Wahlkampf immer rauer. Meinungsumfragen sehen deutliche Verluste für die regierende konservativ-islamische Partei von Präsident Erdogan. Der verstärkt jetzt auch seine Angriffe gegen die Medien, die in der Türkei immer mehr unter Druck kommen. Die direkt angegriffen angesehene Tageszeitung „Hürriyet“ wehrt sich jetzt in ungewöhnlich scharfer Form mit einem offenen Brief auf der Titelseite.

Mittagsjournal, 20.5.2015

Aus Istanbul,

Präsident Tayyip Erdogan tut dieser Tage was er am leidenschaftlichsten und manche meinen am besten kann – er steht im Dauerwahlkampf. Obwohl er das als Präsident, dessen Amt laut Verfassung Unabhängigkeit vorschreibt, gar nicht dürfte sagen zumindest seine politischen Gegner, die deshalb bereits vor Gericht gezogen sind. Gewählt wird schließlich nicht der Staatspräsident, sondern ein neues Parlament. Bei einem seiner jüngsten Auftritte greift Erdogan die Dogan Media Group, älteste und angesehenste Mediengruppe des Landes frontal an.

Die handle gemeinsam mit dem türkischen Parallelstaates sagt Erdogan. Ein gefährliches Signalwort für „sie seien Handlanger seines Erzfeindes Fettulah Gülen“. Ein Vorwurf, der in der Vergangenheit Medienhäusern und Journalisten Polizeirazzien, Festnahmen und juristische Schikanen eingebrockt hat. Hintergrund war eine Schlagzeile der Tageszeitung Hürriyet nach dem Todesurteil gegen den ägyptischen Ex-Präsidenten Mursi. Präsident Erdogan verkürzt die Schlagzeile sinnverändernd und nimmt sie als Beleg für journalistische Manipulation. Und auch der Vorwurf schwingt mit, dass Hürriyet ihm, Erdogan, dasselbe Schicksal wie Mursi an den Hals wünsche.

Das Medienhaus, dessen Publikationen zu den wenigen Massenmedien der Türkei gehören, die keine Hofberichterstattung machen, wehrt sich. Werden Sie uns jetzt verbannen fragt ein offener Brief auf der Titelseite der angesehenen Zeitung. Falls Sie beabsichtigen uns einzuschüchtern, dann werden wir unser Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit furchtlos verteidigen heißt es weiter. Eine Kriegserklärung eines mächtigen Medienhauses an den Präsidenten, der angesichts schlechter Umfragewerte für seine Partei noch angriffslustiger als sonst erscheint. Gut 10% weniger Stimmen als bei der letzten Parlamentswahl wird der regierenden islamisch-konservativen AKP von mehreren Meinungsforschungsinstituten prophezeit. Damit wäre die absolute Mehrheit verloren.

Eine pro-kurdische Oppositionspartei mit modernem Wahlprogramm und charismatischem Führer wird zum Schreckgespenst des Präsidenten. Schafft sie die 10-Prozent Hürde, dann stehen die Chancen gut, dass Tayyip Erdogan seine ehrzeigen politischen Pläne nicht umsetzen kann. Er will die Machtbefugnisse des Präsidentenamtes, und damit seine eigenen, massiv ausweiten. Und braucht dazu eine deutliche Mehrheit bei den Parlamentswahlen am 7. Juni. So groß seine Anhängerschaft noch immer sein mag: viele, vor allem junge Leute in der Türkei, nervt dass selbstbewusste Machtgehabe des Präsidenten immer mehr.