RSO-Saison 2015/16

Sich dem Fremden an die Fersen heften

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien folgt in der Konzertsaison 2015/16 den Spuren jener, die von außen kommen, die nicht dazugehören, die ihren Platz noch finden müssen oder die das bleiben, was ihnen wie ein Stigma anhangt: fremd.

Christoph Becher

Christoph Becher ist neuer Intendant des RSO Wien.

APA/HANS PUNZ

Die Opernbühnen waren seit jeher der Spielort, auf dem Fremdheit und Heimatgefühl miteinander rangen, und so entspringt es weder kunstvoller Dramaturgie noch launischem Zufall, dass in der kommenden Saison einige Werke mit geradezu archetypischen Fremden auf dem Programm des RSO stehen.

Beispielsweise im Theater an der Wien mit seiner langjährig geplanten Zusammenarbeit mit dem RSO und seinem Chefdirigenten Cornelius Meister. Benjamin Britten, dessen reichhaltiges und facettenreiches Bühnenschaffen eine verlässliche Konstante des Spielplans des Theaters an der Wien darstellt, hat in "Peter Grimes" beschrieben, wie der klassische Satz "Wir mögen hier keine Fremden, Mister!" in Eskalation umschlägt. Heinrich Marschner hingegen verlagert den Konflikt in seiner Oper "Hans Heiling" in ein Fabelreich, in dem es musikalisch heiterer, aber inhaltlich keineswegs harmonischer zugeht, wenn der Titelheld aus der Unterwelt die Menschen aufsucht.

Mit Ingo Metzmacher in Salzburg

Eröffnet wird das Thema im August bei den Salzburger Festspielen, wo sich in Wolfgang Rihms Oper "Die Eroberung von Mexico" der spanische Seefahrer Cortez und der Aztekenherrscher Montezuma gegenüberstehen, hin- und hergerissen zwischen Faszination und Abscheu. Alles andere als fremd sind sich Dirigent Ingo Metzmacher und Regisseur Peter Konwitschny, die an der Hamburgischen Staatsoper mit elf gemeinsamen Arbeiten international Maßtäbe gesetzt haben.

Herzstück des RSO-Angebots bleiben die Konzertreihen in Konzerthaus und Musikverein. Cornelius Meister, Christian Scheib und Christian Edlinger haben ein Programm zusammengestellt, das in seiner Vielseitigkeit und seinem Bekenntnis zur Musik der Gegenwart in Europa seinesgleichen sucht. Keine Frage, dass die beiden Jubilare der Saison 2015/16 einen Ehrenplatz erhalten: Pierre Boulez feiert 2015, Friedrich Cerha 2016 seinen 90. Geburtstag.

Eröffnung von Wien Modern

Mit Pierre Boulez' "Pli selon pli" eröffnet Cornelius Meister das Festival Wien Modern im Konzerthaus. Friedrich Cerha steuert eine Uraufführung zum Programm bei: Die "Drei Sätze für Orchester" wurden von der Gesellschaft der Musikfreunde in Auftrag gegeben. Im Konzerthaus wiederum dirigiert Cornelius Meister Cerhas "Baal-Gesänge" und Jochen Schmeckenbecher verkörpert diesen grandiosen Außenseiter aus der frühen Schaffensperiode Bertolt Brechts. Weitere Ur- oder Erstaufführungen stammen von Christian Fennesz, Jorge E. Lopez, Olga Neuwirth, Isabel Mundry, Marc Andre, Bernd Richard Deutsch und Tomasz Skweres.

Selbstverständlich sind die Konzerte des RSO Wien auch immer ein Anlass, sowohl die Höhepunkte des Orchesterrepertoires zu erleben als auch Neues zu entdecken. Seit vielen Jahren schon ist auf dem europäischen Musikmarkt zu beobachten, wie sich die Programme der Symphonieorchester zusehends auf ein kleines, um sich selbst kreisendes Repertoire beschränken. Die Orchester der europäischen Rundfunkstationen machen hier eine bemerkenswerte Ausnahme, und das nicht nur, weil sich das RSO Wien den Blick auf die Musik abseits des Mainstreams zur zentralen Aufgabe gemacht hat, sondern auch, weil die Begegnung mit dem Unbekannten das Hören zu einem sinnlichen, emotionalen und intellektuellen Abenteuer werden lässt. Selten zu hörende Konzerte und Symphonien von Ferruccio Busoni, Antonin Dvorak, Bohuslav Martinu, Mieczyslaw Weinberg, Alexander Skrjabin, Alfred Schnittke und Friedrich Gulda sind Teil des diesjährigen Konzertprogramms des RSO.

On the road

In den letzten Jahren hat sich das ORF Radio-Symphonieorchester Wien auch als Tourneeorchester im Ausland immer stärker behaupten können. Und das in einem Umfeld, das allen Unkenrufen zum Trotz prosperiert. Das Konzert lebt, die Freude der Musikhörer/innen in aller Welt am unmittelbaren Erleben von Musik steigt unvermindert an, neue Konzerthäuser werden gebaut. Das RSO ist froh, als Symphonieorchester aus Wien eine starke Position in diesen Ländern vertreten zu können und immer wieder eingeladen zu werden. So z. B. nach China, wo auch diesmal wieder Konzerte zum Jahreswechsel anstehen, bei denen Neujahrskonzertgefühle gefragt sind.

Im Februar reist das RSO wieder nach Japan, eine Tournee, die sich in den nächsten Wochen noch um Anschlusstermine in anderen asiatischen Ländern erweitern dürfte. Und Ende April stehen Wiedereinladungen nach Deutschland und in die Niederlande auf dem Konzertkalender, nachdem die RSO-Tournee vor zwei Jahren einen starken Eindruck hinterlassen hatte.

Cameron Carpenters "Touring Organ"

Dabei kommt es zu einer bemerkenswerten Begegnung: Das RSO spielt zusammen mit Cameron Carpenter, der wie kein anderer Musiker in den letzten Jahrzehnten die Orgel in den Fokus des Musiklebens gestellt hat. Bildete aber die exzentrische Persönlichkeit Carpenters immer schon einen Gegensatz zur massigen, stationären "Königin der Instrumente", so hat Carpenter Abhilfe geschaffen, indem er sich eine "Touring Organ" anfertigen ließ: ein digitales Instrument, das den Klang der großen Orgel in jeden Konzertsaal versetzt – selbst in den Großen Saal des Wiener Konzerthauses beim ersten Abonnementkonzert der Saison, wo bekanntlich die größte Konzertorgel Europas beheimatet ist.

Cameron Carpenter ist nur einer der illustren Gäste, die in der Saison 2015/16 mit dem RSO Wien zusammenarbeiten. Den Anfang macht noch im Juli Starsängerin Anna Netrebko, gefolgt vom Traumpaar Angela Denoke und Bo Skovhus bei der Rihm-Premiere in Salzburg. Der französische Geiger Renaud Capucon, der Countertenor Andrew Watts, Carolin Widmann, Angelika Kirchschlager, die ebenso junge wie herausragende Pianistin Anika Vavic und der Cellist Nicolas Altstaedt sind einige weitere gefeierte Künstler/innen.

Musik kann uns zwar das Fremde nicht vertrauter machen, aber sie kann dabei helfen, dass wir uns im Fremden heimisch fühlen. Dies ist der Grund für das sprichwörtliche "Pfeifen im finsteren Wald". Und sie kann uns zeigen, dass im Unbekannten keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung steckt.

Text: Christoph Becher, Intendant des RSO Wien

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