"Kongo-Tribunal" von Milo Rau

Eigentlich ist es nur eine Kunstinszenierung, ein fiktives Gerichtsverfahren. Doch das "Kongo-Tribunal" des schweizerischen Regisseurs Milo Rau verhandelt reale Massaker. Am Wochenende wurde es im Osten der Demokratischen Republik Kongo zum ersten Mal aufgeführt.

Reale Augenzeugen und Überlebende sagten aus, reale Verantwortliche wurden angeklagt. Eine Reportage.

  • Kinder im Kongo

    APA/EPA/DAI KUROKAWA

  • Büphnenbild

    Simone Schlindwein

  • Zeichenblock mit Gerichtsszene

    Simone Schlindwein

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Kulturjournal, 2.6.2015

Simone Schlindwein

Eineinhalb Jahre lang ist Milo Rau mit einem Fernsehteam durch die Bürgerkriegsregion im Herzen Afrikas gereist, um Opfer, Zeugen und Täter zu finden. In seiner auf der Bühne inszenierten, sechstägigen Anhörung wird zum ersten Mal in der Geschichte der Kongo-Konflikt vor einer quasi-Jury verhandelt. Angeklagt werden vor allem die internationalen Firmen, die die Rohstoffe des Kongos ausbeuten, um Handys zu produzieren. Inwieweit sind sie für den 20-jährigen Konflikt im Kongo verantwortlich?

Drei Tage lang fanden nun in Ostkongos Provinzhauptstadt Bukavu die lokalen Anhörungen statt. Das Projekt wird am 26. Juni in Berlin mit einer weiteren dreitägigen Anhörung fortgesetzt. Dort wird auch das Urteil fallen.

Mehr als Theater in der "Welthauptstadt der Vergewaltigung"

Die Zuschauer im voll besetzten Theatersaal stehen auf, als die Richter in schwarzen Roben die Bühne betreten. Sie nehmen auf der Richterbank Platz. Ein Zeugenstand ist auf der Bühne eingerichtet. Darüber prangen in großen Lettern die Schlagworte "Wahrheit und Gerechtigkeit". Draußen, vor dem Theatersaal der Universität in Ostkongos Provinzstadt Bukavu herrscht seit 20 Jahren Bürgerkrieg. Die Handelsmetropole gilt als Umschlagplatz für Mineralien. Bukavu wird in den internationalen Medien als "Welthauptstadt der Vergewaltigung" betitelt. Hier steht das berühmte Panzi-Krankenhaus, deren Ärzte Opfer sexueller Gewalt behandeln.

Eigentlich handelt es sich um ein rein fiktives Tribunal. Doch in Ermangelung eines funktionierenden Justizsystems ist die Inszenierung mehr als nur Theater. Das weiß auch der schweizerische Regisseur Milo Rau: "Wir bekommen dauernd Beweismaterial zugestellt von allen Seiten der kongolesischen Gesellschaft. Die Kongolesen nehmen das Tribunal also ernst. Die Künstlichkeit besteht darin, dass wir Künstler eben entschieden haben, dass es stattfinden soll - zusammen mit Juristen. Das ist also ein Zwischenbereich. Die Künstlichkeit ist schön, weil viele unserer Teilnehmer auch in der Realität versuchen, ein solches Tribunal zu machen. Als Juristen und Aktivisten oder auch als Bürger. Hier im Kongo muss man ja nicht suchen nach Verbrechen oder der Tatsache, dass es keine Gerechtigkeit gibt."

Über ein Jahr ist Rau mit einem Filmteam durch die Bürgerkriegsregion gereist, hat Minen besucht, in welchen sich Milizen verschanzt haben. Er hat Tatorte von Massakern gefilmt, Überlebende interviewt. Die Verbrechen, die am Wochenende auf der Bühne in Bukavu verhandelt wurden, sind real. Ebenso die Beweise, die vorgetragen wurden.

"Ich schwöre, nichts als die Wahrheit zu sagen"

Der Zeuge hebt die rechte Hand zum Schwur. In einem braunen Ganzkörperanzug steht er vor den Richtern. Sein Gesicht ist bedeckt, seine Stimme durch ein spezielles Mikrofon verstellt, so dass niemand ihn erkennen kann. Dutzende Zeugen werden so befragt. Eine alte Bäuerin sagt aus, wie sie von ihrem Acker vertrieben wurde, weil eine kanadische Firma die Konzession für Goldschürfung in ihrem Dorf erstanden hatte. Ein ehemaliger Schürfer berichtet, wie er sich einer Miliz anschloss, weil er nicht mehr in der Mine graben durfte, als die Firma das Bergwerk für sich beanspruchte. Doch die Zeugen geben auch zu: Die Firmen errichten als Entschädigungen Schulen und Krankenhäuser im Dschungel. Eine Aufgabe, die eigentlich der Staat erfüllen soll.

Im Verlauf der zweitägigen Anhörung gerät immer mehr die Regierung Kongos ins Kreuzfeuer. Ein Überlebender eines Massakers, das im Juni 2014 unweit von Bukavu stattfand, beschuldigt sogar die Armee, für die Verbrechen verantwortlich zu sein. Die Stimmung im Zuschauerraum ist angespannt.

"Schade, dass es nur Fiktion ist"

Immer wieder muss der Richter die Zuschauer ermahnen. In der ersten Reihe sitzen Regierungsmitglieder: Der Provinz-Gouverneur, der Innenminister, der Minenminister. Kritik sind sie nicht gewohnt, Verantwortung für Verbrechen und Instabilität weißen sie weit von sich. Doch in den zwei Tagen des Kongo-Tribunals kehrt zumindest in dem Theaterraum ein klein wenig Demokratie ein, sagt die Frauenrechtlerin Solange Lwagisha.

"Ich bin überzeugt, wenn man eine Umfrage im Publikum machen würde, würde die Mehrheit sagen: ‚Die Fragen und Fälle sind real - schade, dass das nur eine Fiktion ist.‘ Aber vielleicht hilft uns das mehr als ein reales Verfahren. Ich habe Afrikanische Literatur studiert und kann sagen, dass wir in unserer Kultur ohnehin viel mehr Fiktion als Realität benutzen, um Debatten zu führen. Und gerade weil das alles fiktiv ist, haben wir eine Chance eine konstruktive Lösung für unsere Probleme zu finden, vor allem für uns Bürger. Über die Frage, welche Rolle die Rohstoffe in unserem Land spielen, wie sie uns vielleicht sogar helfen können, aus der Armut zu entkommen."

Das Tribunal wird Ende Juni in Deutschland weitergehen - in Berlin, wo 1884 die europäischen Kolonialherren die Grenzen ihrer afrikanischen Herrschaftsgebiete gezogen hatten. Damals beuteten bereits Europäer den Kongo aus: sie verschifften Sklaven, raubten den Kautschuk für die Automobilindustrie. In Berlin werden die internationalen Minengesellschaft mit den Ergebnissen aus dem Kongo konfrontiert - und dort wird auch das Urteil fallen.