von Barbara Zeithammer

Randnotizen

Viel ist nicht mehr genug. Es muss schon mehr sein oder besser: noch mehr. Vielleicht sogar am meisten? Warum nicht gleich alles? Nein, das ist – noch? - zu frech, das traut sich niemand, so viel Realismus gibt es in der Werbung noch, aber mehr kann es schon sein oder "noch mehr", das geht immer.

"Das ist mein Extra"

Eine Extraportion Extrawürstel für alle? Nun ja, das ist wohl auch nicht realistisch, deshalb gibt es zum Abo ein Geschenk, zum Einkauf Pickerl für Kinder und Erwachsene, Sammelhefte, auch im Eissalon, und Treuepunkte. Weil die Kundendaten es wert sind. Das Reisebüro verspricht mehr Urlaub, das Autohaus mehr Auto, die Bank mehr für mein Geld. Es gibt zwei plus eins gratis oder schlicht: mehr Inhalt. Aber es gibt fast nichts mehr ohne Mehrwert.

"Ich will mehr".

… haben, natürlich, nicht müssen oder teilen. Haben. Und zwar immer mehr für immer weniger. Und immer noch besser, und schneller, noch schneller. Sensationell.

"Ich bin doch nicht blöd"

Blöd ist, wer nicht mehr will, nicht mehr mehr will, wer genug hat. Wo kämen wir da hin? Garantiert nicht aus der Wirtschaftskrise heraus. Und wo wären wir, würde der Mensch nicht immer mehr wollen? Vielleicht noch in der Steinzeit. Wer immer etwas will, muss sich nicht fragen müssen: was will ich eigentlich. Eine hässliche Frage. "Wir möchten so viel", schrieb Kurt Tucholsky, "Haben. Sein. Und gelten. Dass einer alles hat: das ist selten." Gut so, wo wäre sonst mein Extra? Und gut, dass die Werbung daran erinnert, dass es nie zu viel ist, dass man nie genug haben kann, dass es immer etwas gibt, was man noch wollen kann. Und seien es auch Diätshakes mit wenig Energie für viel Geld. Wer das nicht sieht, dem wird der Spiegel vorgehalten. Das Bild ist nicht vollständig, noch lange nicht. Und das wird es auch nie sein – haha.

Es kommt natürlich darauf an… Es kommt darauf an, wer was hat. In dem Haus wohnen Menschen von zumindest drei Kontinenten. Eine Familie mit Wurzeln in Afrika, eine Familie aus dem asiatischen Teil der Türkei und Menschen aus Europa, unter anderem ein Franzose. Der Franzose spricht kein Wort Deutsch, aber das stört die Mieter nicht, wer vornehm sein will, sagt Trottoir, Plafond, Madame und Appartement, und wollen wir nicht alle vornehm sein? Es gibt ungleich mehr Gallizismen als Anglizismen in der deutschen Sprache, aber die gelten als Mehrwert. Genauso wie der Franzose. Der im Stiegenhaus raucht, gern laut Musik hört, sehr laut, und immer ein Loch in seinem Müllsack hat, der ein paar Tage vor der Wohnungstür steht, obwohl er im Parterre wohnt. Das alles stört die Mieter nicht, er ist ja fast einer von uns, er ist zumindest weniger fremd als die anderen Fremden, die zwar schon längst Staatsbürger sind, und fließend Deutsch sprechen. Aber was ist das für ein Mehrwert?

"Das ist mein Extra"

Ich hatte eine junge Taube auf der Terrasse. Das war mein Extra. Wenn auch alles andere als ein gewolltes. Die Nachbarn haben mir den Vogel von Herzen gegönnt. Eine Taube ist so etwas wie die Krätze, auch beinahe ansteckend und ich bin sicher, die Nachbarn hätten mir die Krätze genauso gegönnt. Von der kleinen Taube blieb dann nur ein Haufen feinster Federn, das hab ich hier schon einmal erzählt, vermutlich haben die Krähen sie geholt, die hatten Hunger und die Nachbarn plötzlich Mitleid. Eine tote Taube ist eben eine gute Taube. Gewesen. Und mit Tieren hat man Mitleid, die werden sogar eingeflogen aus Spanien oder Griechenland, eine Bekannte hat das gemacht, sich einen Hund einfliegen lassen, nicht vielleicht einen hier aus dem Heim geholt, wobei das mit dem Mitleid ohnehin nur für Hunde oder Katzen gilt. Kühe, Schweine und Hühner haben Pech, für die gibt’s weder Mitleid noch Mitgefühl, Mitgeschöpf hin oder her. Das wäre wirklich zu viel verlangt. Da wird die Dankbarkeit nicht so spürbar, der Mehrwert, zu diesen Tieren hat man keine Beziehung, die sind weit weg. Die Geschichte mit der Taube geht weiter, obwohl sie nicht mehr lebt. Vielleicht waren es nämlich gar nicht die Krähen. Zuerst, ein paar Wochen lang, habe ich ihn nur gehört, seinen ganz speziellen Ruf, bis ich ihn eines Tages sah: den Turmfalken. Da kam mir ein Gedanke: vielleicht hat er sich die Taube geholt, eine leichte Beute für sich und seine Brut. Die Nachbarn hatten plötzlich kein Mitleid mehr, dem Falken haben sie die Taube gegönnt.

"Ich will mehr"

Ich. Für mich. Und die meinen. Nicht für Sie. Oder die Fremden. Soweit kommt’s noch, dass wir anderen etwas gönnen, sei es auch nur wenig. Dass wir anderen ein bisschen abgegeben von dem Viel. Wo ist denn dann das Extra? Wir tun doch schon genug, mehr geht nicht, echt nicht, Zelte müssen reichen für die Asylwerber, die sind die Hitze eh gewöhnt. Das ist Ironie.

Mit einem großen "Nein" auf Plakaten wurden vergangene Woche Flüchtlinge in Wien-Erdberg begrüßt, Fotos gingen durch die sozialen Netzwerke und Medien – ein Bild sagt eben mehr als tausend Worte.

"Weil ich es mir wert bin"

Weniger ist nicht immer mehr, aber mehr ist immer auch weniger. Weniger Platz im Kleiderschrank zum Beispiel. Weniger Freiheit. Weniger Gerechtigkeit. Mehr wäre nichts, wenn es weniger nicht gäbe. Und viel ist umso mehr, je weniger wenig ist. Wenn viele mehr für weniger Geld wollen, haben viele weniger zum Leben – weniger Ressourcen, weniger Lohn, weniger Perspektiven – irgendwie, irgendwo muss es einen Ausgleich geben. Was ist ein Mehrwert? Was ist mehr wert?