Von Wladislaw Hedeler

Nikolai Bucharin

Der einstige Liebling der ganzen Partei wurde 1938 nach einem Schauprozess erschossen. Der deutsche Historiker Wladislaw Hedeler hat die Biografie eines fast Vergessenen verfasst.

"Eine Muss für alle Russlandinteressierten"

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Wladislaw Hedeler, "Nikolai Bucharin - Stalins tragischer Opponent. Eine politische Biographie", Verlag Matthes und Seitz

Von unserem Rezensenten Erich Klein wurde soeben das Buch "Die Russen in Wien" neu aufgelegt (Falter Verlag).

"Ich wurde im typischen Geist der Intelligenzija erzogen. Mit viereinhalb Jahren konnte ich bereits lesen und schreiben." So beginnt der 1888 in einer Lehrerfamilie im Zentrum von Moskau geborene spätere Cheftheoretiker des Kommunismus Bucharin seine Autobiografie. Mit den Gymnasiasten seiner Generation teilte er das übliche Revolutionärsschicksal.

Bucharin wurd im Alter von Sechzehn kurzzeitig eingesperrt und in Russlands Norden verbannt. Es folgten Flucht und Exil - in der Schweiz, in Skandinavien und in den USA. In Österreich lernte Bucharin 1913 den ebenfalls emigrierten Josif Stalin kennen. Die 1913 entstandene Schrift "Das Elend der subjektiven Wertlehre: die politische Ökonomie des Rentners" ist ein Ergebnis von Bucharins Beschäftigung mit der "Wiener Schule der Nationalökonomie". Eine Mitautorschaft an Stalins damals in Wien entstandener folgenreicher Schrift zur "Nationalitätenfrage" wird vermutet. 1917 kehrte Bucharin nach Russland zurück und wurde Mitglied der höchsten kommunistischen Gremien sowie Chefredakteur der Parteizeitung "Prawda". Als Mitglied des Politbüros ist er 1920 /21 für die "Neue Ökonomische Politik" zur Überwindung des Kriegskommunismus verantwortlich.

Wladislaw Hegler zeichnet minutiös und gut lesbar Bucharins Aufstieg und Wandel vom "linken Kommunisten" zum pragmatischen Wirtschaftspropagandisten der NÖP nach; auf die Absage an den "Roten Terror" folgte der Streit über Lenins "politisches Testament" (in dem dieser vor Stalin gewarnt hatte. Mit Stalins Konzept des "Sozialismus in einem Land" ging der Vorsitzende der "Kommunistischen Internationale" noch konform, seine Zurückweisung von Stalins gewalttätiger Landwirtschaftspolitik machte ihn zum Gegner und Feind. Das führte zu Bucharins alsbaldigem Sturz.

Ob es sich heute tatsächlich noch lohnt, Bucharins Schriften wie "Anarchismus und wissenschaftlicher Kommunismus" oder "Das ABC des Kommunismus" zu lesen, sei dahingestellt. Wladislaw Hedelers "Nikolai Bucharin. Stalins tragischer Opponent" stellt aber eine Muss für alle Russlandinteressierten dar. Das Buch ist spannender zu lesen als der Großteil der üblichen Darstellungen des Sowjetexperiments.