Nicolai Gedda und Peter Schreier

Stimmgewalt

Keine Protzer, beide, sondern Vokal-Kalligrafen. Bei beiden: nicht nur singen, sondern sagen, dem Publikum etwas mitteilen - ohne ihm zu nahe zu kommen. Nicolai Gedda, der Kosmopolit, der am Podium körpersprachlich in eine sein Singen spiegelnde Übereleganz fallen konnte, und Peter Schreier, der erzdeutsche Tenor mit Buchhalterbrille und unfehlbarer Akkuratesse:

Nur zehn Lebensjahre trennen sie voneinander, es gibt genügend Repertoire-Überschneidungen, und dennoch stehen Gedda und Schreier im Sängerlexikon in unterschiedlichen Kapiteln.

Nicolai Geddas "magische Töne"

Mit spektakulärer Höhenelastizität, unverkennbarem Stimmklang und der Fähigkeit, seinen Tenor ins Süß-Diskrete zurückzunehmen, war Nicolai Gedda in den frühen 1950er Jahren eine ideale Ergänzung für das in London vom Produzenten Walter Legge rund um Elisabeth Schwarzkopf aufgebaute Mikrophon-Ensemble. Der Legge'schen Klangästhetik war aller Bombast, alles groß Aufgebauschte fremd. Mag in diesem Rahmen die Intimität des Tons manchmal auch ins Kunststückhafte überdreht worden sein: Noch bei Nicolai Geddas allerletzten Auftritten rund 50 Jahre später war der scheinbar so mühelos produzierte, den Wesenskern des Menschen hinter der Stimme einschließende Klang da.

Gedda konnte es wohl schmettern lassen, aber er war zeitlebens kein Schmetterer. Geddas Repertoire, auch bei Liedern, Oratorischem: riesenhaft! Oft bewies er Wagemut, sich mit als "unsingbar" Verschrieene zu beweisen: "Benvenuto Cellini" von Berlioz, den spitze Töne jagenden Arnold in Rossinis "Tell" … und dazwischen immer wieder "magische Töne, berauschender Duft".

Meistersänger Peter Schreier

Der Thomanerchor Leipzig war, als Peter Schreier bei ihm Mitglied sein durfte, eine harte Schule. Das A und O war Johann Sebastian Bach samt Universaltraining, das Schreier, erwachsen geworden, alle Wege offenließ. Er hätte auch sogleich mit dem Dirigieren beginnen können, doch nach einigen DDR-Opernjahren im Fach des lyrischen Tenors – Mozart, deutsche Spieloper – kam die Chance: Nach dem Tod von Fritz Wunderlich brauchte es einen deutschen Tenor, mehr: einen deutschen Tenor, die Lücke zu füllen.

Peter Schreier war in beinahe allen Bereichen bereit – Wunderlichs gleisnerisches Schlagersingen ausgenommen. Er trat an mit dem strengeren Ton der Thomaner-Schule, einem zugleich wortbetonten wie instrumentalen Singen, das ihn zu Herbert von Karajans wie zu Karl Richters "Matthäuspassions"-Evangelisten werden ließ, zu Karl Böhms erstem Mozart-Sänger, zu einem der Hauptprotagonisten so vieler zeittypischer Joint-Venture-Aufnahmen zwischen BRD und DDR, Karajans ganz auf kammermusikalisch getrimmte Dresdner "Meistersinger" an der Spitze.

Ein Meistersänger wurde Schreier mit den Jahren auch im Liedgesang: Seine Schubert-Abende, manchmal gar nicht mit Klavier, sondern mit Gitarrenbegleitung - eindrucksvoll. Da fiel das Wohlerzogene für Augenblicke ab.