"Das Kind" - Erzählung

Drehe die Herzspindel weiter für mich

Am 4. Juli vor hundert Jahren wurde Christine Lavant als Christine Thonhauser in Groß-Edling bei St. Stefan im Lavanttal geboren. Klaus Amann, Fabjan Hafner und Doris Moser vom Robert-Musil-Institut in Klagenfurt haben den Band "Drehe die Herzspindel weiter für mich - Christine Lavant zum 100." herausgegeben. Ö1 hat mit ihnen auch über die Erzählung "Das Kind" der 1973 verstorbenen Dichterin gesprochen.

Christine Lavant

WALLSTEIN VERLAG

Die neue Werkausgabe und die Einzelbände, die rund um Christine Lavants 100. Geburtstag erscheinen, machen nicht nur viele Texte erstmals oder nach langer Zeit wieder zugänglich, sie lassen ihr Werk auch in einem neuen Licht erscheinen. Und zudem werden in den Nachworten zu den einzelnen Editionen neue Dimensionen ihre Biografie sichtbar. Da es noch immer keine Lavant-Biografie gibt, ist auch dieser Aspekt von großer Wichtigkeit, zumal ihr Dichten, noch mehr aber ihre Prosa auch eine autobiografische Basis hat.

Service

Klaus Amann, Fabjan Hafner (Hg.), "Drehe die Herzspindel weiter für mich - Christine Lavant zum 100.", 184 Seiten, gebunden, Wallstein Verlag, Göttingen 2015

Christine Lavant, "Das Kind", neu herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Klaus Amann, 88 Seiten, gebunden, Wallstein Verlag, Göttingen 2015

Christine Lavant, "Das Wechselbälgchen", Erzählung, neu herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Klaus Amann, 104 Seiten, gebunden, Wallstein Verlag, Göttingen 2012

Christine Lavant, "Werke in vier Bänden - Band I: Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte", herausgegeben und mit Nachworten von Doris Moser und Fabjan Hafner unter Mitarbeit von Brigitte Strasser, 720 Seiten, gebunden, Wallstein Verlag, Göttingen 2014

Uni Klagenfurt - Robert-Musil-Institut

Neue Werkausgabe

Der Klagenfurter Germanist Klaus Amann hat das Robert-Musil-Institut in Klagenfurt aufgebaut und zwanzig Jahre lang geleitet. 1994 hat das Land Kärnten den Hauptnachlass von Christine Lavant angekauft und dem Musil-Institut übergeben; im Zuge der Herausgabe des Werkes sind aber noch weitere fünf Teilnachlässe aufgetaucht.

Mit der auf vier Bände angelegten neuen Werkausgabe trägt also ein Projekt, das sich lange hingezogen hat und auch von Rechtsstreitigkeiten begleitet war, seine Früchte. Als Band I sind 2014 die zu Lebzeiten publizierten Gedichte erschienen. Das Herausgeber-Team Doris Moser und Fabjan Hafner hat in umfangreichen Nachworten aus erhellenden Briefen und Dokumenten die Biografie von Christine Lavant rekonstruiert und mit etlichen Klischees aufgeräumt, vor allem mit dem Bild des unbedarften Naturgenies und der leidenden Frau, die nur Opfer ist.

Tonaufnahmen von Christine Lavant gibt es nur wenige; von ihren Lesungen ist nur eine einzige Aufnahme erhalten, die im ORF-Landesstudio Kärnten aufgenommen und später in einem längst vergriffenen Hörbuch publiziert wurde.

1933 erscheint das erste Gedicht

Über die Anfänge des Schreibens von Christine Lavant weiß man noch sehr wenig, klar ist nur, dass sie schon als junges Mädchen geschrieben hat, denn bereits 1933 - Christine Lavant war damals 18 Jahre alt - erschien ihr erstes Gedicht in einer "Kärntner Zeitung". Viele Versuche, die ihr untauglich schienen, hat Christine Lavant verbrannt, und in den Jahren des Nationalsozialismus und des Krieges ist sie eigenen Aussagen zufolge verstummt.

1948 die Buchpublikation - "Das Kind"

Doch 1945 kam es zu einer Eruption von Prosatexten - zu Weihnachten hat sie in nur vier Tagen die Erzählung "Das Kind" niedergeschrieben, die 1948 im Brentano Verlag in Stuttgart als ihre erste Buchpublikation erschien.

Klaus Amann ist im Rahmen der neuen Werkausgabe hauptverantwortlich für die Prosa; für November sind die zu Lebzeiten publizierten Erzählungen angekündigt. Im Vorfeld hat Amann zwei Einzeltexte ediert: 2012 erschien die Erzählung "Das Wechselbälgchen" und in diesem Jahr "Das Kind". Bis jetzt galt die Prosa als Nebenwerk von Christine Lavant und wurde nur wenig beachtet, für die Lyrikerin war sie jedoch von Bedeutung.

Während Christine Lavant den Druck ihrer Lyrikbände bis in die Titelgebung hinein begleitete und überwachte und sie daher als autorisiert anzusehen sind, hat sie sich um die Publikationen ihrer Prosa kaum gekümmert; es kam daher zu starken Eingriffen von fremder Hand. Durch Auffinden der Originalhandschrift von "Das Kind" sowie einer Kopie von "Das Wechselbälgchen", die eigenhändige Korrekturen von Lavant aufweist, konnten diese Eingriffe beseitigt werden.

Lavant lässt das Kind erzählen

Die Erfahrungen als Kind, die Familiengeschichte, die Brutalität des bäuerlichen Alltags - drängend und dringend floss das in Christine Lavants Prosa ein, und wie die berühmte "écriture automatique" quoll diese Prosa aus ihr heraus. Aber aus ihrer Lektüre, sagt Klaus Amann, hat Lavant Strukturen verinnerlicht, wie man diesen Erzählfluss strukturieren kann.

Er vergleicht sie mit Ingeborg Bachmann - was Bachmann Jahrzehnte später für die Wahrnehmung der weiblichen Welt geleistet hat, das hat Lavant für die Welt des Kindes getan: und zwar, wie Klaus Amann im Nachwort zu "Das Kind" einprägsam beschreibt, indem sie die Perspektive des Kindes nie durch einen Kommentar unterbricht oder relativiert und nicht über ein Kind erzählt, sondern dieses Kind sich selbst erzählen lässt.

Geheimnisvoll: Texte und Person

Liest man die Gedichte von Christine Lavant im Zusammenhang des ersten, etwa 700 Seiten starken Bandes der neuen Werkausgabe, so fällt einem vor allem dieses Geheimnisvolle, nicht zu Entschlüsselnde und sich der Interpretation immer wieder Entziehende dieser Gedichte auf - auch wenn sie durch Rhythmus und Reim noch so eingängig und durch ihre Bildwelt faszinierend sind.

Ilma Rakusas Text über Christine Lavant findet sich im Sammelband "Dreh die Herzspindel weiter für mich", in dem sich unterschiedlichste Autorinnen und Autoren zu Lavant äußern. Hier wird sichtbar, wie ein Lavant-Gedicht für Friederike Mayröcker, Christoph W. Bauer, Evelyn Schlag, Ulf Stolterfoht und viele andere zum Generator eines eigenen Textes werden kann. Auch wichtige Zeugnisse und Interpretationen vereint dieses wichtige Buch; und ein Gespräch mit Sibylle Lewitscharoff, für die Christine Lavant "die größte Dichterin überhaupt im zwanzigsten Jahrhundert unter den Frauen" ist.

Das ist auch eine der wichtigsten Erkenntnisse der neuen Gesamtausgabe und der sie begleitenden Editionen: Das das Werk von Christine Lavant nicht aufgeht im österreichischen oder im katholischen Kontext, dass es den Horizont der 1950er und 60er Jahre übersteigt und in seiner ganzen Dimension erst jetzt sichtbar wird.