Lea-Lublin-Retrospektive in München

Die argentinisch-französische Künstlerin Lea Lublin stand zu Lebzeiten mit ihren oft spektakulären Arbeiten und Aktionen im Zentrum der Kunstszene, doch nach ihrem Tod 1999 ist es sehr schnell sehr still um sie geworden. Jetzt wird ihr Werk wiederentdeckt - in einer Retrospektive im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses.

Lea Lublin schuf von Marcel Duchamp, von Kasimir Malewitsch, aber auch von dem Psychoanalytiker Jacques Lacan und der soziologischen Kunst beeinflusste Installationen und Environments, aber auch Fotos, Zeichnungen und Videos - und griff darin immer auch wichtige Themen ihrer Zeit auf.

Kulturjournal, 26.6.2015

Am 13. Dezember 1969 wurde in Santa Fe im Norden Argentiniens ein spektakuläres Ereignis gefeiert: Die Einweihung eines 13 Kilometer langen Tunnels unterhalb des Río Paraná, zu jener Zeit einer der längsten Straßentunnel der Welt. Begleitet wurde die Eröffnung von einem großen Festival, zu dem Lea Lublin eingeladen wurde, ein Kunstprojekt beizusteuern.

Natur trifft Technik - "Fluvio Subtunal"

In einem leerstehenden Kaufhaus realisierte die Künstlerin ein 900 Quadratmeter großes Environment, das auf der Gegenüberstellung von Natur und Technik basierte. "Fluvio Subtunal" hieß Lublins Projekt, angelegt als Parcours durch verschiedene Zonen, die der Besucher zu durchqueren hatte: Erst geht es durch ein flaches Wasserbecken, dann durch die "Windzone", einen Wald aus Plastikschläuchen, anschließend durchschreitet man einen Vorhang mit Projektionen von Bildern vom Bau des Tunnels und gelangt, nach der "Produktionszone" mit Baumaschinen und der "Sinneszone" mit Obst, Gemüse und Gewürzen, zum eigentlichen Tunnel - einem langen, durchsichtigen Plastikkanal. Hat man den passiert, warten am anderen Ende Schießstand und Streichelzoo.

Am Beispiel des "Fluvio Subtunal" lässt sich gut zeigen, was Lea Lublins Werk generell ausmacht: Es ist sinnlich, ironisch, aber auch unmittelbar gegenwartsbezogen, irritierend, komplex und ideologiekritisch. Eine Herausforderung für das Publikum, das hier nicht die Rolle des kontemplativen Betrachters einnehmen kann, sondern sich das Werk selbst "erarbeiten" muss. Lea Lublin "wollte einen breiteren Dialog zwischen Kunst und Arbeit anregen (…) und dem Alltag eine Dosis Verspieltheit verabreichen", schreibt Kuratorin Stephanie Weber im Katalog zur Ausstellung.

Kondensat der verschiedenen Ansätze

"Ich wollte vermitteln, dass diese Künstlerin schon in den Sechzigern ganz großformatige Arbeiten gemacht hat - begehbare, körperlich erfahrbare Arbeiten", betont Stephanie Weber. "Ihre Environments sind sehr stofflich; es geht um natürliches Material, anfassen, durchdringen, die sexuellen Konnotationen ... Es geht auch um Arbeit, Erde, was heißt Fortschritt ... Das ist eine andere Herangehensweise, als sie andere Künstler in der gleichen Zeit wählen."

Stephanie Weber, die im Zentrum der Ausstellung auch eine verkleinerte Rekonstruktion des "Fluvio Subtunal"-Environments von 1969 präsentiert, hat sich intensiv mit dem Werk von Lea Lublin befasst - und eine sehr konzentrierte Schau geschaffen, die quasi ein Kondensat der verschiedenen Ansätze dieser ziemlich in Vergessenheit geratenen Künstlerin bietet. Ein Werk am Schnittpunkt zwischen klassischer Avantgarde und soziologischer Kunst, Feminismus, Psychoanalyse und Konzeptkunst.

Vielfältiges Werk, vergessen Künstlerin

"Ich bin dem Werk vor mehreren Jahren begegnet und war fasziniert und verwundert darüber, dass man diese Künstlerin nicht kannte. Habe dann angefangen zu recherchieren und habe dann festgestellt: es gibt ganz viele wahnsinnig interessante Arbeiten. Sie war sehr umtriebig in Paris und auch in Buenos Aires. Und trotz alledem gibt es wenige Spuren, es gibt wenige Informationen in den Archiven. Es gibt Arbeiten in öffentlichen Sammlungen in Frankreich, aber an und für sich für diese erstaunliche Vielfalt und Qualität des Werks nicht genug. Und da hat sich die Idee für mich verfestigt, dass man diese Ausstellung machen muss."

Lea Lublin wurde 1929 als Kind polnischer Juden im heute weißrussischen Brest geboren. 1931 emigrierte die Familie nach Argentinien. Schon mit zwölf besuchte Lea Lublin eine Kunstschule in Buenos Aires, malte und zeichnete und unterrichtete schon früh und fuhr ab den 50er Jahren regelmäßig nach Frankreich. Sie war in diversen Malereiausstellungen in Paris vertreten - mit heute zum größten Teil nicht mehr erhaltenen expressionistischen Gemälden.

"Die Sammler hängen meine Malereien bei sich zu Hause über die Couch, das ist nicht der Sinn der Sache."

"Der größte künstlerische Einschnitt kommt vielleicht 1965, da setzt auch die Ausstellung im Lenbachhaus an, als sie sagt, die Konflikte, die politischen Konflikte, die ich ansprechen möchte, kann ich durch Malerei nicht wirklich so ansprechen, wie es nötig ist. Die Sammler hängen meine Malereien bei sich zu Hause über die Couch, das ist nicht der Sinn der Sache. Ich muss anders an die Arbeit rangehen, man muss den Betrachter ganz anders einbeziehen. Was natürlich in den 60ern auch ein Thema ist für viele Künstler. Da fängt sie dann mit dieser Arbeit, mit 'Voir clair', mit dem 'Klar Sehen' an."

Klare Sicht auf massenhaft reproduzierte Bilder wie die Mona Lisa will Lea Lublin erreichen, indem sie diese hinter eine Konstruktion aus Glasscheibe mit Wassersprüher und Scheibenwischer stellt und den Betrachter animiert, das Bild zu bespritzen und sauber zu wischen. Das sollte die Ehrfurcht vor dessen Aura nehmen - und einen frischen Blick auf das Bild ermöglichen. Lea Lublin wollte das Verhältnis zwischen Künstler, Werk und Betrachter neu interpretieren - und verstand künstlerisches Arbeiten immer auch als das Formulieren eines Fragenkatalogs.

"Was ist das Verhältnis zur Sexualität in der Kunst? Wie verhält sich der Modernismus zur Körperlichkeit? Was heißt das für den Feminismus, für die Rolle der Künstlerin? Da werden relativ komplexe Gedanken und Theorien gespannt, die letztlich auch dazu dienen, nicht nur die Kunst, sondern auch das Leben, die ideologischen Strukturen des Alltags besser zu verstehen."

Angeklagt wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses

Lea Lublins Werk polarisierte - und provozierte. 1968 stellte sie sich und ihren neugeborenen Sohn in einem Pariser Museum aus - und machte den Alltag einer Mutter zum Gegenstand einer umstrittenen Performance. Zwei Jahre später zeigte sie in Buenos Aires auf einem zweiteiligen Plexiglasbild ein nacktes Paar beim Geschlechtsakt - und wurde wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angeklagt.

Ende der 70er Jahre zog sie an einem feministischen Aktionstag mit einer Gruppe Gleichgesinnter durch Paris - mit einer Fahne mit frauenfeindlichen Sprüchen, die sie in der Seine versenkte. Später beschäftigte sie sich intensiv mit klassischen Madonnen-Darstellungen, fokussierte sich auf das Verhältnis der Jungfrau zum Kind - und versuchte in ihren Bilddekonstruktionen zu belegen, dass sich im Jesuskind die Maler selbst und ihr erotisches Begehren spiegelten.

"Das, was alle Arbeiten von Lea Lublin verbindet ist, die Suche und die Frage nach dem Bild. Was macht das Bild mit uns? Den Hang zur Ikone und zum eindrucksvollen Bild - wie kann man das auflösen, wie kann man den Betrachter gleichberechtigter machen dem Bild gegenüber. Unser Kontakt mit Bildern hat sich in den letzten zehn, zwölf Jahren extrem verändert durch neue Technologie, Smartphones etc. Ich glaube, ihre sehr systematische Befragung und Dekonstruktion des Bildes und dessen, was Repräsentation mit uns macht, die passt sehr in die heutige Zeit."

"Es gibt keine Kunst außerhalb der Gesellschaft", war Lea Lublin überzeugt, die argentinisch-französische Künstlerin, die 1999 in Paris im Alter von 70 Jahren starb. Während der Stern einer Louise Bourgeois posthum fast noch heller zu strahlen scheint als zu Lebzeiten, ist es um Lea Lublin, auch weil man sich um ihren Nachlass kaum kümmerte, still geworden. Die Ausstellung im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses rückt sie wieder ins Scheinwerferlicht.

Service

Lenbachhaus - Lea Lublin - Retrospective
25. Juni - 13. September 2015