60 Jahre documenta
Heute vor genau 60 Jahren wurde die erste documenta eröffnet - im kriegszerstörten Kassel. Heute gilt sie als weltweit wichtigste Ausstellung von Gegenwartskunst, dabei sollte sie eigentlich nur eine kleine Begleitveranstaltung zur Bundesgartenschau 1955 werden. Ö1 beleuchtet die Anfänge und die abenteuerliche Geschichte der documenta zwischen Politik, Kulturkampf und Erweiterung des Kunstbegriffs.
8. April 2017, 21:58

DPA/UWE ZUCCHI
Kulturjournal, 15.7.2015
Es war am 15. Juli 1955 im kriegszerstörten Kassel, als die erste documenta abgehalten wurde. Zehn Jahre nach Kriegsende waren die Bedingungen noch immer unfassbar. Und eine Vorstellung, dass diese Ausstellung eine derartige Erfolgsgeschichte schreiben würde, die gab es natürlich auch nicht. Kaum eine Schau hat mit so schöner Regelmäßigkeit Skandale produziert: Die Margarine-Berge und Honig-Pumpen eines Joseph Beuys sind längst Klischee; ebenso wie die Blutlaken und Mysterien-Spiele des Herrmann Nitsch.
Wechselnde Schreibweisen, wachsende Besucherzahlen
In bisher 13 Ausgaben mit unterschiedlichen Schreibweisen hat sich die documenta bei stetig steigenden Besucherzahlen zu einer der weltweit bedeutendsten Kunstausstellungen entwickelt. Die Schauen mit ihren Originaltiteln und den künstlerischen Leitern im Überblick:
documenta (1955)
Der Kasseler Künstler und Kurator Arnold Bode erfindet den Namen und die Schreibweise documenta und zeigt am Rande der Bundesgartenschau Kunst, die von den Nationalsozialisten als "entartet" verfemt worden war. Etwa 130.000 Gäste sehen die 670 Exponate von Ernst Barlach, Wassily Kandinsky, August Macke und vielen anderen.
documenta II (1959)
Nach dem Erfolg der Schau mit den zum Teil Jahrzehnte alten Bildern folgt die erste wirkliche Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Die Werke von Marc Chagall, Oskar Kokoschka, Emil Nolde und 389 anderen Künstlern sehen 134.000 Menschen.
documenta III (1964)
Bode leitet zum letzten Mal die Kunstschau mit nunmehr 1.450 Exponaten. Die documenta III findet aus organisatorischen Gründen mit einem Jahr Verspätung statt. 280 Künstler locken 200.000 Besucher an. Spektakulär: die "Kinetische Kunst" mit beweglichen Werken.
4. documenta (1968)
Ein "Documenta-Rat" aus 24 Mitgliedern, darunter Bode, leitet die Ausstellung im Umbruchjahr 1968. Die Eröffnung wird massiv gestört, da bestimmte Kunstrichtungen nicht vertreten sind. Auf der Schau präsentieren sich 150 Künstler mit Pop-Art, Happenings und Aktionskunst. 220.000 Besucher kommen.
documenta 5 (1972)
Die Schau verändert sich entscheidend und wird unter Harald Szeemann selbst zum Kunstobjekt. Joseph Beuys eröffnet sein "Büro der Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung", die Fotorealisten bekommen die besondere Aufmerksamkeit der 228.000 Zuschauer.
documenta 6 (1977)
In Bodes Todesjahr findet die erste Documenta im nunmehr fünfjährigen Zyklus statt. Manfred Schneckenburger präsentiert den 343.000 Zuschauern die "Honigpumpe" von Beuys, den "Vertikalen Erdkilometer" von Walter De Maria und eine Laserskulptur von Horst H. Baumann.
documenta 7 (1982)
Bei der documenta 7 von Rudi Fuchs, die knapp 380.000 Menschen sehen, bekommt Kassel zwei neue Wahrzeichen: Ein sichtbares - die große Spitzhacke von Claes Oldenburg am Fulda-Ufer - und ein subtiles Kunstwerk - die 7.000 Eichen von Joseph Beuys.
documenta 8 (1987)
Wieder unter der Leitung von Schneckenburger, dieses Mal lockt seine Schau fast 475.000 Besucher an. Es gibt vor allem Videokunst und Performances sowie die Guillotinen-Reihe von Ian Hamilton Finlay. Die "d8" wird zum Massenereignis, was ihr auch Kritik einbrachte.
DOCUMENTA IX, (1992)
189 Künstler mit 1.000 Exponaten lädt Jan Hoet ein. Die erste Documenta nach dem Fall der Mauer wollen mehr als 600.000 Interessierte sehen. Populärstes Kunstwerk ist 1992 die 25 Meter hohe Skulptur "Man walking to the sky" von Jonathan Borofsky, die auch heute noch am Kasseler Kulturbahnhof steht.
documenta X (1997)
Die erste Frau auf dem Documenta-Chefsessel, Catherine David, zeigt 120 Künstler mit 700 Werken. Knapp 630.000 Besucher kommen. Die "letzte große Kunstausstellung des 20. Jahrhunderts" soll 1997 eine Retrospektive sein. Erstmals dabei: das Internet.
Documenta 11 (2002)
Der Nigerianer Okwui Enwezor ist der erste Nichteuropäer, der eine Documenta leitet. Er beschränkt sich auf 118 Künstler - so wenig wie nie. Mit 650.000 Zuschauern stellt die Schau dennoch einen Besucherrekord auf.
documenta 12 (2007)
Der in Berlin geborene Wiener Roger Martin Buergel zeigt 2007 zum ersten Mal auf einer Documenta zum Teil Jahrhunderte alte Kunst. Populärster Künstler ist aber Ai Weiwei mit seinen 1.001 Chinesen und einem im ersten Sturm zusammenstürzenden Holztempel. 754.000 Besucher sehen die gut 500 Exponate der etwa 130 Künstler.
dOCUMENTA (13) (2012)
Ein Festival der Rekorde: Die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev schreibt fast 300 Namen auf die Teilnehmerliste. Es gibt mit gut 60 Ausstellungsorten in Kassel und an den Außenstandorten Kabul, Kairo und Banff (Kanada) auch mehr Kunst-Stätten als je zuvor. Bereits im Vorfeld der Ausstellung entstehen viele Kunstwerke am Ort. Zur 13. Ausgabe kommen mehr als 860.000 Besucher.
Documenta 14 (2017)
Bereits mehr als zwei Jahre vor Beginn der Schau sorgt der künstlerische Leiter Adam Szymczyk mit seiner Ankündigung für Furore, Athen zur gleichberechtigten Ausstellungsstätte neben Kassel zu machen. Die 14. Ausgabe der Weltkunstausstellung findet vom 10. Juni bis zum 17. September 2017 statt. Bereits im April 2017 soll die Schau in Athen beginnen.
Text: APA/dpa