Alexis Tsipras: Vom Visionär zum Pragmatiker

Alexis Tsipras ist angetreten, um nicht nur Griechenland, sondern gleich ganz Europa zu verändern. Ein, wie er sagt, gerechteres Europa. Tsipras meint damit ein sozialistisches. Aber: Die Realität hat den griechischen Ministerpräsidenten in den vergangenen Wochen eingeholt und zum Pragmatiker gemacht. Tsipras beweist dennoch Durchhaltevermögen. Heute Nacht hat Tsipras im Parlament die Zustimmung zu den Spar- und Reformauflagen erreicht. Diese Schlacht hat er gewonnen, den politischen Krieg noch lange nicht.

Alexis Tsipras

AP/THANASSIS STAVRAKIS

Mittagsjournal, 16.7.2015

Aus Athen,

Partei in die Mitte führen

Es ist die Geschichte eines Mannes, der als Marxist nach Brüssel gefahren ist und als Pragmatiker wieder zurückkommt. Die Geschichte eines Mannes der sich am Vorabend der Abstimmung noch einem 90 Minuten Interview stellt und dabei klar macht, dass er das Sparpaket für falsch hält. Der aber nur wenige Stunden später im Parlament auftritt und dafür Applaus bekommt dass er die Maßnahmen verteidigt.

Er schafft es Niederlagen in Siege umzudeuten. Aber er schenkt den Menschen auch reinen Wein ein wenn er etwa sagt: Wenn sie statt 800 Euro 800 Drachmen in der Hand hielten, dann würden sie sehen wie arm sie plötzlich sind.

Das alles macht der erst 40-jährige Politiker im perfekten Look. So auch heute in der Früh gegen ein Uhr dreißig im Parlament. Wie immer tadellos gestylt im Zyriza Erscheinungsbild. Auch noch nach 20 Stunden faltenfreier Anzug aber ohne Krawatte dafür immer weißes Hemd. Er wirkt wie ein Mann, der das Wort Müdigkeit nicht kennt. Es aber – so zumindest seine Gegner – auch mit der Weltanschauung offenbar nicht ganz so ernst nimmt.

Das sei auch den Umständen geschuldet, sagt Tassos Papas. Er ist seit Jahrzehnten Innenpolitik-Journalist in Griechenland und kennt Alexis Tsipras von Beginn an:
Tsipras dachte tatsächlich er kann das System in Europa ändern. Ich denke er hat das wirklich geglaubt. Vielleicht ist es auch etwas naiv gewesen zu denken, dass man sich gegen all jene in Europa durchsetzen kann die die sozialistischen Ideen ablehnen.

Eine Qualität von ihm hätte sich in Brüssel jedenfalls bewährt. Er kann einen kühlen Kopf bewahren: Er kann mit Druck sehr gut umgehen auch nach vielen Stunden Verhandlungen. Er kann sehr gut zuhören und analysieren. Das hat er oft gezeigt. Natürlich hilft ihm auch sein junges Alter durchzuhalten.

Er sei auch ein ganz anderer Charakter als sein Ex-Finanzminister Varoufakis: Tsipras ist viel umgänglicher als Varoufakis. Aber dafür ist er nicht in der Lage, so wie der Ex-Finanzminister die Karten komplett neu zu mischen. Er hat auch nicht so klare Visionen von einem anderen System in Europa wie Varoufakis. Aber während Varoufakis nicht in der Lage ist, strategisch Pläne zu verfolgen, kann Tsipras das sehr wohl.

Tsipras hätte aber zumindest eines geschafft: In Europa wird darüber diskutiert, ob der Weg, den wir gehen, wirklich der richtige ist. Und das sei für so ein kleines Land ein doch durchaus beachtlicher Einfluss.

Aber manchmal profitiert man eben auch davon, dass es die anderen noch schlechter machen, so Tassos Papas. Denn im Moment gibt es keine Person in den anderen Parteien, die ihm das Wasser reichen kann. Die Oppositionsparteien sind nach der verheerenden Wahlniederlage nach wie vor damit beschäftigt sich neu aufzustellen.

Aber das griechische Volk sei gnadenlos. Heute ein Held – morgen ein Verräter. Das ginge hierzulande besonders schnell: Er konnte sich das meiste politische Kapital bis jetzt bewahren aber niemand kann sagen wie sich das Blatt wendet wenn in ein paar Monaten die Menschen die Auswirkungen des Pakets zu spüren bekommen.

Jetzt wird er sich vor allem schnell von ein paar politischen Weggefährten trennen und die Partei in die Mitte führen. Mal sehen, ob sie ihm dorthin folgt.