Festival junger Künstler in Davos

Davos ist eine Wintersport-Destination. Das World Economic Forum (WEF) lädt im Winter zum jährlichen Wirtschaftsgipfel ein. Im Sommer hingegen findet bereits zum 30. Mal ein ambitioniertes zweiwöchiges Kammermusikfestival statt: das Davos Festival "young artists in concerts". Außerhalb der Schweiz ist es kaum bekannt.

Im Juli und August bietet es jungen Talenten ein Forum der Begegnung und ermöglicht ihnen Konzerte. Zudem leistet sich das Festival einen Composer in Residence: Dieses Jahr ist Marc-André Dalbavie aus Frankreich angereist. Als Schweizerische Erstaufführung war bereits John Cages "MusiCircus" zu erleben.

Streichquartett wird von Blechbläsern umkreist

Yannick Andrea

Kulturjournal, 10.8.2015

Sabine Weber

Service

Davos Festival - young artists in concert

Klangzirkus oder Jahrmarkt?

Mozart im Foyer. Die Trommel in der Ecke wird kräftig gerührt. Brahms zweites Streichquartett trifft auf Erwin Schulhoffs Bläsertrio. Vor dem Haupteingang stehen die Davos-Klosters Alphörner. Die Davoser Musikkapelle in Uniform steht im Garten auf der anderen Seite, das Jodelchörli Parsenn in Trachten auf der Terrasse. Was geht hier bloß vor sich? 70 junge Künstler vom Davoser Festival und 100 Musiker aus der Region spielen gleichzeitig auf. Das ist Klangzirkus oder besser Jahrmarkt? Drei ältere Damen sitzen auf Bierbänken neben der Davoser Kapelle und beobachten: "Gewöhnungsbedürftig", man müsse sich einfach dran gewöhnen, am Anfang habe es ihnen auch nicht gefallen, meinen die Damen. "Sehr gut, interessant, ungewöhnlich", so ein anderer Besucher.

"Der Mensch muss irritiert werden"

Über John Cages "MusiCircus" triften die Meinungen auseinander. Im und um den Davoser Schweizerhof, dem Hauptveranstaltungsort vom Davos Festival. Das gefällt Reto Bieri. Seit zwei Jahren ist der Klarinettist aus dem Kanton Zug künstlerischer Leiter: "Der Mensch muss irritiert werden. Aus der Irritation kommt das Staunen heraus. Verständnis, Unverständnis, Gegenpole kommen zusammen: Wenn Volksmusik auf klassische Musik trifft. Es gab sehr konzentrierte Momente bei gewissen Ensembles. Wenn Cage das gesehen hätte, hätte ihm das gefallen, weil Grenzen aufgelöst worden sind.

Grenzen überschreiten mit Federspiel

Grenzen aufzulösen, Schwellen zu überschreiten, dazu ist Reto Bieri in Davos angetreten. Das Festival soll wahrnehmbar werden außerhalb der eingeschworenen Klassikgemeinde. Sie rekrutiert sich im Wesentlichen aus den 6000 Zweitwohnungsbesitzern der Graubündener Edelstadt. Bieri will auch auf Metzger, Bäcker, Angestellte und Touristen zugehen. Neue Musik, Alte Musik, Klassik und Volksmusik müssen keine Gegensätze bilden.

Ein Ensemble, das programmatisch dafür steht, ist Federspiel aus Wien. Die sieben Blechbläser mischen mit volksmusikalisch aufgerauten eigenen Kompositionen und witzigen Arrangements Davos auf. "Ein Riesenvorteil dieses Festivals ist, dass es Brücken schlägt: von einem zum anderen, die sich normalerweise nicht begegnen würden. Es macht eine großartige offene Stimmung", sagt Simon Zöchbauer, der Trompeter des Ensembles.

Zur Festivalphilosophie gehört, dass die eingeladenen Musikerinnen und Musiker in immer neuen Formationen proben und auftreten. Wobei bei Festivalbeginn offen ist, mit wem. "Ich spiele noch mit bei einem Stück von Galina Ustwolskaja, ganz sphärisches Stück, das wir in der Kirche aufführen mit vier Musikern, die ich noch gar nicht kenne", sagt Zöchbauer. "Mein Kollege Philipp spielt ein Stück von Bohuslav Martinu. Es gibt absolut den Austausch, selbst, wenn wir als fixes Ensemble hierher fahren. Wir spielen mit anderen. Wir sprechen mit anderen. Wir jammen hoffentlich mal zusammen."

Wo die Dinge in Ruhe geschehen

Da lässt Reto Bieri den 70 Musikern aus 20 Nationen völlige Freiheit. Nur die Programme müssen beim Konzert fertig geprobt sein. Da kommt ein Ensemble auch schon einmal an seine Grenzen. Einen hervorragenden Einstand gibt das junge Kwartet Dudok aus den Niederlanden mit Steve Reichs "different trains". Der albanische Geiger Ilias Kadesha und die britische Cellistin Vashti Hunter haben sich für Brahms gefunden.

"Was mir vorschwebt ist eine gewisse Philosophie aufzubauen in Davos: Nämlich die Philosophie des „Geschehen-lassens“. Ich frage die Musiker für zwei Wochen an. Und das ist für viele ein großes Problem. Weil sie sagen, in zwei Wochen, da kann ich drei Festivals machen. Das möchte ich nicht. Ich möchte, dass die Dinge hier oben in Ruhe geschehen. Dass wir hier wie eine Oase bilden in Davos, wo Dinge möglich sind, das schwebt mir ganz entschieden vor", sagt Bieri.

Spannend sind die immer neuen Ensembleformationen in einem Konzert. Reto Bieri kann für jedes Programm aus dem Vollen schöpfen. Vor dem Ensemblestück "Palimpsest" vom Residenzkünstler Marc-André Dalbavie ist das darin verarbeitete Madrigal von Gesualdo auch zu hören. Eine Uraufführung gibt es auch. Der in Luzern studierende 24-jährige Christoph Blum hat Verkehrsinseln im Straßenverkehr auf die Schippe genommen. Aus der Vogelperspektive ist Davos auch ein riesiger Kreisverkehr. Und dort kreisen die Musiker. Im Bahnhof spielen sie auf, in Kaffeehäusern, und dann brechen sie auch aus. Das Davos Festival lockt auf eine musikalische Wanderung in die Berge!