Müll-Krise im Libanon

In Beirut, einst als Paris des Nahen Ostens bezeichnet, türmen sich die Müllberge, weil der Abfall seit Wochen nicht mehr abgeholt wird. Dagegen rebelliert jetzt die neue "Ihr Stinkt-Bewegung", gemeint ist nicht nur der Müll, sondern auch die Politiker des Landes.

Mittagsjournal, 29.8.2015

Es geht nicht nur um Müll

Heute haben die Libanesen und ihre neue „Ihr Stinkt-Bewegung“ erneut zu einer Großdemonstration aufgerufen. Seit Tagen gehen sie auf die Straße, weil nun bereits seit fünf Wochen der Müll nicht mehr abgeholt wird. Der Grund: Die bisherigen Müllentsorgungsverträge mit privaten Firmen sind abgelaufen. Parteien, schiitische, sunnitische, christliche und drusische Politiker und korrupte Beamte konnten sich nicht auf neue einigen. Aber der Abfall trägt keine Konfession, Überall in Beitrat stapelt sich der Müll, und auf dem Land lassen ihn die Gemeinden einfach wild in die Landschaft kippen. Längst geht es bei den Protesten nicht mehr nur um den Müll, erklärt Maha Yahia von der Carnegie Stiftung in Beirut. „Das ist nicht nur eine Müllkrise, es ist eine Krise rund um das gesamte politische System des Landes. Die Leute haben einfach genug von der politischen Korruption, die ein Maß erreicht hat, das nicht mehr auszuhalten ist, weil sich diese auf ihr tägliches Leben auswirkt“.

Unzufriedenheit mit politischem System

Marwan Maalouf ist einer der Organisatoren der „Ihr Stinkt-Kampagne“. Er erklärt den Namen der Bewegung. „Das Ganze hat ein Maß erreicht, in dem nicht nur der Müll in unseren Städten, sondern auch unsere Politiker stinken“. Auch für ihn geht es schon längst nicht mehr als darum, dass nun endlich der Müll eingesammelt wird. „Der Müll hat den Libanesen aufgeweckt in der Wirklichkeit in der er lebt, Er weiß, dass es eine korrupte politische Klasse gibt, er kennt die konfessionellen Verstrickungen libanesischer Politik. Er musste nur geweckt werden. Wir versuchen diesen Geist zu schützen, und wollen uns nicht von irgendeiner Partei oder Konfession instrumentalisieren lassen“. Tatsächlich hat sich der von der Müllkrise entzündete Protest jenseits der Faktoren Religionszugehörigkeit und der Familienclans organisiert, die sonst die gesamte libanesische Politik bestimmen.
Maha Yahia von der Carnegie-Stiftung beschreibt die neue Bewegung. „Da ist offensichtlich ein Embryo einer zivilen Bewegung entstanden. Die Demonstranten kommen von allen Seiten, viel erzählen, es sei das erste Mal, dass sie an einem Protest teilnehmen. Da sind Reiche und Arme, Menschen aus allen Regionen des Landes, und mit allen Konfessionen. Sie sind ein Symbol welche Unzufriedenheit im ganzen Land herrscht“.

Bewegung wirft Fragen auf

Libanons politisches System war ein mit der Idee entstanden, alle Konfessionen politisch zu repräsentieren. Wer Präsident, Premierminister oder Parlamentspräsident ist wir durch die Religionszugehörigkeit bestimmt, bis hin, welche Pförtner in welchem Ministerium angestellt wird. Es ist ein System das den Staat zunehmend lahm legt. Die neue Ihr-Stinkt Bewegung wirft laut Maha Yahia entscheidenden Fragen für den Libanon auf. „Wie können wir uns von einem konfessionellen System in einen zivile Staat umwandeln? Ein Staat, in dem es um Leistung geht, in dem es echte politische Parteien gibt, die miteinander mit ihren politischen Programmen konkurrieren und nicht wegen ihrer Religionszugehörigkeit. Die Libanesen haben genug davon, dass ihre politische Identität einzig durch ihre Religionszugehörigkeit bestimmt werden soll“.

Müllkrise als Symbol

Die Müllkrise ist ein Symbol. Das libanesische politische System, basierend auf einen Proporz von Religionsgruppen ist nicht mehr funktioniert und den Staat schleichend zum Scheitern bringt. Die neue „Ihr Stinkt-Bewegung rebelliert dagegen. Offen bleibt, ob sie das schafft, oder ob sie am Ende doch wieder vom libanesischen System auffressen wird. Aber noch lehnen sie sich auf. In einem neuen Lied der Protestbewegung singen sie über ihr Land, das von korrupte Familienclans zerstört wird. Im letzten Vers heißt es: „Du, dein Onkel und deine Cousins sind die Säule des Regimes, deswegen sind wir gegen euch alle, alle ohne Ausnahme“.