Türkei: Konflikt mit PKK spitzt sich zu

In der Türkei warnt die pro-kurdische Oppositionspartei HDP jetzt offen vor einem Bürgerkrieg. Der Konflikt zwischen Armee und Regierung und der verbotenen kurdischen Terrororganisation PKK eskaliert immer weiter.

In der von Armee und Polizei abgeriegelten Stadt Cizre im vor allem von Kurden bewohnten Südosten der Türkei sind in den vergangenen Tagen mehr als 30 Menschen getötet worden, die meisten Kämpfer der PKK heißt es offiziell. Kurdische Organisationen sprechen hingegen von mehr als 50 Toten, darunter viele Zivilisten.

Mittagsjournal, 11.9.2015

Aus Istanbul,

Eine Stadt im Ausnahmezustand. 120.000 Menschen abgeriegelt von der Außenwelt. In Cizre tötet und verhaftet die türkische Armee Terroristen der PKK und habe in den vergangenen Tagen hunderte Kilogramm Sprengstoff unschädlich gemacht heißt es offiziell. Die pro-kurdische Oppositionspartei HDP zeichnet ein anderes Bild. Sie spricht auch von vielen getöteten Zivilisten. Von Bewohnern, die nicht ausreichend mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten versorgt würden. Das türkische Militär hat einen regelrechten Belagerungsring um die Stadt gezogen. Beobachtern wird der Zugang nach Cizre verwehrt: „Wie sollen wir in Cizre Wahlen abhalten können oder in anderen Städten wie Batman, Erzurum oder Sirnak“ fragt der Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei Selhattin Demirtasch. „Ohne Stabilität und Frieden, wie sollen die Menschen hier in Sicherheit wählen können?“

Für den 1. November hat Präsident Erdogan Neuwahlen ausgerufen, die er – wie viele glauben – ganz bewusst selbst vom Zaun gebrochen hat, in dem er die Koalitionsverhandlungen nach den regulären Parlamentswahlen im Juni sabotiert hat. Die legale, pro-kurdische Oppositionspartei HDP gerät immer mehr zwischen die Fronten.

Nationalisten verwüsten Parteilokale der Oppositionspartei, der Präsident rückt sie ins Eck der Terroristen, will unbedingt verhindern, dass sie neuerlich den Sprung ins Parlament schafft. Dann – und nur dann – könnte seine AKP eine klare absolute Mehrheit erreichen, die Verfassung ändern und damit Präsident Erdogan geben was er will – die uneingeschränkte Macht, per Gesetz abgesegnet. Dafür nimmt Erdogan die Konfrontation mit der PKK, ein Ende des zaghaften Friedensprozesses mit den Kurden und bürgerkriegsähnliche Zustände in Teilen des Südostens in Kauf sagen seine Gegner.

Auch der PKK-Führung scheint der politische Aufstieg der legalen, pro-kurdischen Opposition ein Dorn im Auge zu sein. Nach deren Wahlsieg fürchtete die PKK um ihre Existenzberechtigung und den politischen Alleinvertretungsanspruch der Kurden. Die Terrororganisation hat mit einer Welle an Gewalt darauf geantwortet und damit den Gegnern der oppositionellen HDP in die Hände gespielt.

Es ist der Zeit nationalistischer Emotionen und einer zunehmenden Radikalisierung auch der Anhänger des Präsidenten, die mit Steinen Fenster von Medienhäusern zertrümmern und versuchen Redaktionen ungeliebter, sprich regierungskritischer Zeitungen stürmen: „Die zerbrochenen Fensterscheiben am Eingang unseres Gebäudes sind ein Symbol. Sie zeigen in welchem Ausmaß die Pressefreit in unserem Land bereits zerstört ist“ sagt Sedat Ergin, der Chefredakteur der liberalen Tageszeitung Hürriyet. Die Sorge um die politische Zukunft der Türkei. Sie wächst mit jedem Tag.