Neuer Roman von Salman Rushdie

Einen Hang zum Fantastischen und zur orientalischen Fabulierkunst hat Salman Rushdie noch in jedem seiner Bücher gezeigt, so auf die Spitze getrieben wie in seinem neuen Roman "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" hat er es aber noch nie. Der Großteil der Geschichte spielt zwar im New York der Gegenwart, dort wimmelt es aber nur so von orientalischen Geistern, die den ganzen Erdkreis in ein wildes Chaos stürzen.

Morgenjournal, 23.9.2015

"Geschichten meiner Kindheit"

Hinter dem Buch-Titel verbirgt sich eine einfache Rechenaufgabe, deren Lösung auch gleich die Marschrichtung für Salman Rushdies neuen Roman vorgibt. Zusammengezählt ergeben "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" nämlich 1001 Nacht, und wie Königin Scheherazade kümmert sich auch Rushdie keinen Deut um die Glaubwürdigkeit seiner wildwuchernden Erzählung. Salman Rushdie: "Ich ging zurück zu den Geschichten meiner Kindheit, wo es von Dschinnis und fliegenden Teppichen nur so gewimmelt hat. Mich hat interessiert, was passieren würde, wenn ich dieses kulturelle Erbe, das ich in meine neue Heimat New York mitgebracht hatte, auf Manhattan loslassen würde."

Fundamentalistische & aufgeklärte Dschinnis

Dieses Loslassen ist wörtlich zu verstehen, denn Rushdie entfacht in New York einen Krieg der Geisterwelten. Die dunklen, fundamentalistischen Dschinnis wollen die Welt durch Naturkatastrophen und Kriege ins Chaos stürzen, während die aufgeklärten Dschinnis für den Fortbestand der Menschheit kämpfen. Rushdie verfolgt diesen Konflikt von Vernunft und Toleranz versus religiösen Fanatismus aber auch zurück bis zu seinen Ursprüngen im Mittelalter. Salman Rushdie: "Ich habe ursprünglich Geschichte studiert und für mich waren das Fantastische und die Märchen auf der einen Seite und die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Vergangenheit auf der anderen Seite zwei wunderbare Möglichkeiten, die menschliche Natur zu ergründen. Und eines Tages fragte ich mich, warum ich eigentlich nicht beides in ein Buch packen sollte."

Der arabische Philosoph Ibn Ruschd

Als Urvater der Fundamentalisten macht Rushdie den islamischen Theologen al-Ghazali aus, der vor knapp tausend Jahren am Sultanshof von Bagdad gewirkt hat. Und als aufklärerische Gegenkraft schickt er den arabischen Philosophen Ibn Ruschd ins Rennen. Der meinte, dass die Logik der einzige Weg sei, den Menschen glücklich zu machen und zu ihm pflegt Rushdie ein fast familiäres Naheverhältnis: "Mein Vater war ein so großer Bewunderer von Ibn Ruschds Denken, dass er unseren Familiennamen in Rushdie umgeändert hat. Ihn hat die unglaublich moderne Haltung fasziniert, die Ibn Ruschd innerhalb der arabisch-islamischen Kultur des Mittelalters an den Tag gelegt hat. Ibn Ruschd war ja ein großer Anhänger und Kommentator der aristotelischen Lehre und wollte dass Vernunft, Naturwissenschaft und Logik Eingang finden in seinen Kulturkreis und nicht nur der blinde Glaube tonangebend war."

"Das ist mein witzigstes Buch"

Spielerisch und unangestrengt erzählt Rushdie von der Philosophie des Mittelalters, entwirft ganz nebenbei noch eine Kulturgeschichte des arabischen Geisterglaubens und das alles, während seine Geschichte die tolldreistesten Wendungen nimmt. Seine fast unüberschaubare Menge schillernd skurriler Figuren führt er dabei mit sicherer Hand, der auch kein Erzählfaden auf halber Strecke abhandenkommt. "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" ist mit Sicherheit Rushdies fantastischstes Buch geworden, er selbst wollte aber auch in Sachen Humor noch einmal eins drauflegen: "Das ist mein witzigstes Buch und darauf habe ich es auch von Anfang an angelegt."

Sein schelmisches Naturell ist Salman Rushdie auch durch die jahrzehntelange Fatwa nicht verloren gegangen, mit der er nach Erscheinen der "Satanischen Verse" belegt worden war. Und genauso wenig nimmt er sich bis heute ein Blatt vor den Mund, wenn es um das Anprangern gesellschaftlicher Missstände geht wie zuletzt in der syrischen Flüchtlingskatastrophe. "Ja, Amerika und die Golfstaaten sollten mehr Flüchtlinge aufnehmen", sagte Rushdie und ja, möglichst viele Menschen sollten Rushdies neuen Roman "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" lesen, empfiehlt mit gutem Gewissen der Rezensent.

Service

Salman Rushdie, "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte", aus dem Amerikanischen von Sigrid Ruschmeier, Bertelsmann