Edward Munchs "Schrei" in der Albertina
Liebe, Tod und Einsamkeit sind die bis heute aktuellen Themen des künstlerischen Schaffens von Edvard Munch. Sein Gemälde "Der Schrei", entstanden zwischen 1893 und 1919, ist wohl jedem Schulkind in Österreich als Paradebeispiel des Expressionismus bekannt. Ab heute zeigt die Albertina rund 100 Meisterwerke der Druckgrafik dieses Protagonisten der Moderne: neben "Der Schrei" weitere Ikonen wie "Madonna", "Der Kuss" und "Melancholie".
8. April 2017, 21:58

RETO RODOLFO PEDRINI
Mittagsjournal, 23.9.2015
Wer kennt sie nicht, die Figur, die auf einer Brücke stehend den Mund zu einem verzweifelten Schrei aufreißt und sich dabei die Ohren zuhält. Nach den Gräueln des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurde das zu einem der am häufigsten reproduzierten Motive des 20. Jahrhunderts, auch wenn es keinesfalls ein Hauptwerk von Edvard Munch darstellte. Sein Hauptmotiv war "das kranke Kind", zu sehen seine an Tuberkulose sterbende Schwester Sofie, wie in einer Bühneninszenierung umringt von der ganzen Familie.
Die tief melancholische Grundstimmung seiner Arbeiten hängt wohl damit zusammen, dass Munch schon früh Erfahrungen mit dem Tod machte: Seine Mutter starb früh, ebenso sein Vater und Schwester Laura litt unter schwerer Melancholie. Die damit verbundenen heftigen Gefühle ließen Munch den Symbolismus als Kunstströmung seiner Zeit überwinden, wie Albertina-direktor Klaus Albrecht Schröder sagt.
Die heftigen Gefühle spiegeln sich auch in seiner Technik wider: So hat er beim "Kranken Kind" Farbe aufgetragen und wieder abgekratzt, wie es später die Künstler der 1960 und 1980er Jahre machten. Auch seine Holzplatten für die Drucke bearbeitete er oft über 40 Jahre lang immer wieder, wie Kurator Dieter Buchhart erläutert: "Kein Druck gleicht dem anderen - er variierte die Farben, das Papier, die Dichte der Druckfarben. Das war ein endloses Experimentieren."
Die Deutlichkeit seiner Darstellungen wurde geliebt und gehasst
So hängen in dieser Ausstellung jeweils mehrere Varianten eines Motives nebeneinander, etwa vom "Kuss", in dem ein Paar in inniger Umarmung verschmilzt; aber nicht goldumrahmt wie bei Gustav Klimt sondern im düsteren Schwarz der Holzmaserung - die Angst vor dem Verlust schwingt da schon mit. Denn immer wieder taucht im Werk von Edvard Munch die Frau als Femme fatale, als schicksalsbestimmende Herrscherin auf, die den Mann von Eifersucht zerfressen zurücklässt.
Radikal ist auch Munchs Darstellung einer bleichen Madonna mit gespenstischem Fötus und kleinen Spermien im Hintergrund, ein Werk, das einen der vielen Skandale um Munch auslöste. Seine Ausstellung in Berlin 1892 etwa musste schon nach vier Tagen abgehängt werden, bedeutete allerdings auch seinen internationalen Durchbruch.
Was die Menschen hassten und liebten, war die Deutlichkeit seiner Darstellungen. Wenn er seine Madonna mit den Zügen einer Prostituierten zeigt oder sein Selbstporträt mit einer Knochenhand verbrämt, dann ist das mehr als deutlich. Kein Wunder, dass ein Bild wie "Der Schrei" zum Klassiker wurde: Jeder kann die Emotion in einem Bild wie diesem nachvollziehen. Auch wenn die melancholische Düsternis solcher Arbeiten in einer Spaßgesellschaft mit Weltuntergangsahnungen etwas ungemütlich wirken mag.
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Albertina - Edward Munch. Liebe, Tod und Einsamkeit
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