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Karl Ove Knausgard träumt

"Bei welchem Band bist Du?" - Das war vor ein paar Jahren in Norwegen eine gängige Smalltalk-Frage. Jeder wusste, worum es ging: das Projekt von Karl Ove Knausgard. Ein autobiografisches Monsterprojekt, insgesamt mehr als 3.000 Seiten. Auf Deutsch gibt es bis dato fünf Bände des sechsteiligen Zyklus. Mit "Träumen", dem soeben erschienen fünften Band, hat Knausgard gestern Abend erstmals in Wien Station gemacht.

Oslo bei Nacht

Oslo bei Nacht

APA/EPA/LYSBERG STIAN Stian SOLUM

Morgenjournal, 1.10.2015

Angeblich haben bereits eine Million von fünf Millionen Norwegern die detailreichen Schilderungen über das Leben ihres Landsmannes gelesen. Und in mehr als 30 Sprachen wurden sie übersetzt. Kurz: Der 46-jährige Norweger ist Kult.

Radikales Selbstporträt

Unter dem Titel "Min Kamp" (Mein Kampf) hat Karl Ove Knausgard sein Leben aufgeschrieben. Ein radikales Selbstporträt von über 3.000 Seiten jenseits marktüblicher Selbstinszenierungen. Banalitäten, Indiskretionen und peinliche Offenbarungen inklusive. "Ich hatte das Gefühl, die Welt geht unter in Bildern und Geschichten, alles ist Erfindung und ich wollte ein Buch darüber schreiben, wie das Leben wirklich ist, über den Alltag, das ist wichtig, das sind wir. Auch wenn ich am Anfang große Scham empfunden habe", sagt der Autor.

Das Scheiter, wie es wirklich war

Er erzählt von den Schrecken der Kindheit als Sohn eines tyrannischen Alkoholikers, von quälenden Pubertätserlebnissen, dem Alltag des Studenten und zweifelnden Jungschriftstellers, vom Familienalltag als junger Vaters, der psychischen Krankheit seiner Frau, von eigenen Krisen, eigenem Scheitern.

Das Scheitern stand am Beginn der Arbeit an "Min Kamp". Er wollte einen Roman über den verhassten und gefürchteten Vater schreiben, nachdem er unter dramatischen Umständen gestorben war. "Als Roman hat das nicht funktioniert. Fünf Jahre später hab ich mich gefragt: Warum sage ich nicht einfach, wie es wirklich war", sagt Knausgard. Und das habe er dann getan.

Eindringlich klare Sprache

"Min Kamp" durchnummeriert in sechs Bänden. In der deutschen Übersetzung wurde der Titel entschärft. "Sterben", "Lieben", "Spielen", "Leben" und eben jetzt erschienen: "Träumen". Da erzählt Karl Ove Knausgard von seiner Studienzeit in Bergen, den schriftstellerischen Anfängen und seiner ersten Ehe, von Partys, Besäufnissen und Frauengeschichten. 14 Jahre, von 1988 bis 2002. - "Für das Herz ist das Leben einfach: Es schlägt, solange es kann. Dann stoppt es", mit diesen Sätzen beginnt der Romanzyklus und Knausgard zieht das tausende Seiten lang durch: höchste Intensität, eine eindringlich klare Sprache, ohne Pathos und frei von Ironie. "Ironie schafft Distanz, sie hilft einem, Kontrolle zu gewinnen und sich mit Verhältnissen abzufinden - das ist gut im Leben, aber in meinem Schreiben kann ich sie nicht brauchen", so der Autor.

"Es geht nicht ohne Verletzung"

Die, die Karl Ove Knausgard begleiten oder begleitet haben, werden alle mit vollem Namen genannt: seine Frau, die schwedische Autorin Linda Boström, die vier Kinder, die Eltern, Freunde und Verwandten, die teilweise heftig reagierten und mit dem Anwalt drohten. Dazu sagt Karl Ove Knausgard: "Ich habe ja nur geschrieben, was ich selbst gesehen habe und sonst nichts. Aber man sollte wohl die anderen Menschen in Ruhe lassen. Das Schlimme ist, dass ich sie benütze, dass ich ihr Leben für meine Zwecke verwendet habe. Aber es geht nicht ohne Verletzung, es ist schwer Romane zu schreiben, ohne skrupellos zu sein."

"Achtung, Suchtgefahr", warnte die Kritik. Gelobt wurde die Zügellosigkeit von Knausgards Denken und die hypnotische Kraft seiner Literatur: "Es hat auch bei mir funktioniert", schrieb etwa Ijoma Mangoldt in der Zeit. "Die Droge hat angeschlagen - und es fällt mir nicht leicht zu sagen, welche Wirkstoffe da am Werk sind."

Service

Karl Ove Knausgard, "Träumen", Roman, Luchterhand Literaturverlag

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