"Fräulein Julie" in der Josefstadt

Im Theater an der Josefstadt hat morgen Abend August Strindbergs Drama "Fräulein Julie" Premiere. Das über 100 Jahre alte Stück, in dem Strindberg mit der Frauenemanzipation und dem Ständestaat abrechnet, gehört zu den populärsten Werken des Autors. Erst im letzten Jahr wurde es von Liv Ullmann verfilmt. In der Josefstadt wird es in ungewöhnlicher Besetzung mit Sona MacDonald und Florian Teichtmeister von der deutschen Regisseurin Anna Bergmann umgesetzt.

Morgenjournal, 6.10.2015

Von brennender Aktualität ist Fräulein Julie heute nicht mehr, und dass es immer noch auf den Spielpläne der Theater zu finden ist, hat weniger mit seinem gesellschaftspolitischem Ansatz zu tun, als mit seiner zeitlosen Zeichnung der Charaktere und ihrer psychologisch stimmigen Entwicklung. In einer lauen Mittsommernacht verwischen die Standesunterschiede zwischen Dienerschaft und Herrschaft, und das adelige Fräulein Julie gibt sich dem Diener Jean hin. Wie mit den Folgen umzugehen ist, verhandelt dieses komprimierte Kammerspiel.

"Mich hat das Stück an sich mit dem Geschlechterkampf interessiert, und - in unserem Fall - die Besetzung: dass Fräulein Julie keine junge Frau ist, sondern eine Mitte Fünfzigjährige wie Sona MacDonald", sagt die Regisseurin Anna Bergmann, Jahrgang 1978. Diese Umkehrung erscheint logisch und sinnvoll. Und mit Sona MacDonald hat Bergmann eine Schauspielerin gefunden, die bereit ist an ihre Grenzen und darüber hinaus zu gehen: "Sie ist eine Schauspielerin, die komplett durchlässig ist, und sie hat sich auch auf diese Reise komplett eingelassen. Das auszuprobieren, das ist das Besondere daran", so die Regisseurin.

Eine Reise nennt Anna Bergmann ihre Inszenierung, die im historischen Setting - gleichsam als sepiafarbener Stummfilm beginnt und sich dann ins Hier und Heute entwickeln soll. Wo genau das Ziel der Reise liegt, wurde aus den Proben nicht ganz ersichtlich - die Vermutung liegt nahe, dass die Regisseurin dem Strindbergschen Text zutiefst misstraut. Sie fügt Fremdtexte ein, ändert den Schluss und zeigt Fräulein Julie als Borderline-Persönlichkeit. Was bei Strindberg sanft angedeutet ist, wird bei Bergmann radikal ausgelotet.

Den Zeisig - den von Fräulein Julie geliebten Vogel, den Jean am Schluss tötet - ersetzt Bergmann durch eine Nebelkrähe, die einerseits brav in ihrem Käfig sitzt, auf der anderen Seite in Menschengestalt mit Fräulein Julie tanzt und singt und die positiven Elemente in ihrem sonst von Depression erfüllten Leben sichtbar machen soll.

Das Publikum wird sein eigenes Urteil abgeben, und sollte das nicht so positiv ausfallen, sei hier tröstend August Strindberg zitiert, der 1888 am Ende seines Vorwortes zu "Fräulein Julie" schreibt: "Ich habe einen Versuch gemacht! Ist er missglückt, so ist noch Zeit genug, einen neuen zu machen." Die Inszenierung von Anna Bergmann ist ab morgen Abend im Theater in der Josefstadt zu sehen.

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