Presse-Unfreiheit in der Türkei
Der türkische Präsident Erdogan kann es sich leisten, sich in Europa hofieren zu lassen, damit man mit ihm auf einen grünen Zweig in der Flüchtlingsaufnahme kommt, im eigenen Land aber Druck auszuüben, der mit europäischer Meinungsfreiheit nichts zu tun hat. Vor den Parlamentswahlen am ersten November werden Journalisten geknebelt.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 7.10.2015
Aus Istanbul,
Wenn wir wollen, dann können wir Dich wie eine Fliege zerquetschen. Wenn Du heute noch am Leben bist, dann nur, weil wir barmherzig gewesen sind. Derartiges war jüngst in einem Kommentar einer türkischen Tageszeitung zu lesen, die der Regierungspartei AKP nahe steht. Der Adressat der Drohung war Ahmet Hakan, einer der bekanntesten Journalisten des Landes.
Die Attacke kam kurze Zeit später. Vier Männer folgten dem Kolumnisten der seriösen Tageszeitung Hürriyet und prügelten ihn krankenhausreif. Direkt vor seinem Haus im Zentrum Istanbuls. Zuvor geriet die Redaktion von Hürriyet ins Visier eines wütenden Mobs, der Fensterscheiben einschlug und versuchte in das Zeitungsgebäude einzudringen. Angeführt wurde der Mob vom Chef der AKP-Jugendorganisation, der auf einem Handyvideo bedauert, dass man die Journalisten nicht schon viel früher angegriffen hatte.
Die Tageszeitung Hürriyet gehört zur einflussreichen Dogan-Mediengruppe, die journalistisch unabhängig agiert und zum Hassobjekt der Regierung sowie des Präsidenten geworden ist. Türkische Staatsanwälte haben jüngst wieder Ermittlungen gegen die Gruppe wegen angeblicher Verbreitung terroristischer Propaganda eingeleitet.
Dass man Medienhäuser und regierungskritische Journalisten mit Klagen und Gerichtsverfahren eindeckt, dass Kolumnisten nach politischer Intervention ihren Job verlieren. Das alles ist in der Türkei längst wieder Alltag. Morddrohungen oder körperliche Attacken, die jetzt vor der Parlamentswahl am 1. November deutlich zunehmen, erinnern allerdings an die dunkelsten Zeiten.
Doch hat viele Journalisten der Mut längst noch nicht verlassen. Hunderte Medienleute haben jüngst auf Istanbuls wichtigster Einkaufsstraße gegen das Klima der Gewalt und für Pressefreiheit demonstriert. Unter ihnen Ahmet Sik, einer der bekanntesten Investigativ-Journalisten des Landes: „Journalisten werden direkt von der Regierung und auch von Präsident Erdogan persönlich ins Visier genommen. Es ist dann egal, wer die Attacke ausführt oder ob es klare Verbindungen zur Regierung gibt. Der wahre Täter ist die Regierung sagt Ahmet Sik, weil sie ein Klima der Journalistenverfolgung geschaffen habe.“
Richtig gefährlich wird es für Reporter im Südosten des Landes, wo sich die Armee seit Mitte Juli erneut einen blutigen Krieg mit Kämpfern der PKK liefert. Ganze Städte sind unter Ausgangssperre. Journalisten wird der Zutritt verweigert.
Der wiederaufgeflammte Konflikt mit den Kurden, die bevorstehende Wiederholung der Parlamentswahl vom Juni, deren Ergebnis der regierenden AKP nicht gefallen hat. Das alles erhöht den politischen Druck auf die Medien.
Die vor weniger als einem Jahr geäußerten Worte des Präsidenten muten in diesem Zusammenhang fast schon skurril an: die Türkei habe die freieste Presse der Welt hatte Tayyip Erdogan damals verkündet.