Russische Avantgarde im Kunstforum Wien

"Liebe in Zeiten der Revolution - Künstlerpaare der russischen Avantgarde" heißt eine Ausstellung, die heute im Bank Austria Kunstforum Wien eröffnet wird. Die Ausstellung zeigt die Malerei der russischen Avantgarde in der Zeit um die Oktoberrevolution 1917, als die Utopie einer parallelen Revolutionierung von Kunst und Leben eine Zeit lang realisierbar schien. Gleichberechtigt arbeitende Frauen und Künstlerpaare erlebten eine Phase der Hochkonjunktur.

Fahrende Musiker, erstes Doppelporträt von Stepanowa und Rodtschenko

Fahrende Musiker, erstes Doppelporträt von Stepanowa und Rodtschenko, 1921 (Fotograf unbekannt) Silbergelatine-Print, 23,5 x 16,5 cm Privatbesitz

A. Rodtschenko & W. Stepanowa Archiv

Morgenjournal, 13.10.2015

Tabuisiert: Sexualität und Geschlecht

Die Künstlerpaare der russischen Avantgarde experimentierten mit neuen Lebensformen: Sie erlebten eine sexuelle Revolution und kämpften gemeinsam für eine neue Gesellschaft. Für die Künstlerinnen war es ein kurzer Höhenflug - den sie meist im Tandem mit ihren männlichen Künstlerpartnern erlebten. "Popowa war zum Beispiel mit dem Kunsthistoriker Boris von Eding verheiratet und war parallel dazu mit dem Architekten Wesnin verbunden - künstlerisch wie persönlich. Man hat sich in Ateliers getroffen und hat freie Liebe praktiziert. Sexualität und Geschlecht wurden in dieser Zeit in Russland komplett tabuisiert", erklärt Kuratorin Heike Eipeldauer.

"Ideologie der Geschlechtergleichheit"

Bereits 1917 hatte die bolschewistische Regierung Gesetze erlassen, wonach Mann und Frau in der Ehe ökonomisch gleichgestellt wurden, Ehebruch und homosexuelle Liebe nicht mehr unter Strafe gestellt waren, und Ehepaare auch einen getrennten Wohnsitz haben konnten. Diese neue Freiheit zelebrierte ein Künstlerpaar wie Natalja Gontscharowa und Michail Larionow, das auf sehr aktionistische Art mit Gesichtsbemalungen experimentierte - wie erst viel später die Künstler der 1970er Jahre - oder mit neu erfundener Mode durch die Straßen Moskaus zog und damit immer wieder Medienskandale produzierte. Hier zu sehen auf Diaprojektionen.

"Es gab so etwas wie die Ideologie der Geschlechtergleichheit", so Eipeldauer. "Dass das sehr oft nicht den realen Umständen entsprochen hat, zeigen Geschichten wie um Gontscharowas Aktmalerei. Sie wurde wegen Portografie angeklagt, weil sie die erste Frau war, die einen weiblichen Akt gemalt hat, und das galt als unerhört."

Flächendeckende Zensur 1931

In den ersten Jahren war die Zusammenarbeit zwischen bolschewistischer Regierung und den Künstlern sehr eng: Alexander Rodtschenko etwa war leitend tätig im Volkskommissariat für Bildungswesen und entwickelte zusammen mit seiner Partnerin Warwara Stepanowa voller Idealismus Mode und Texitilentwürfe für den neuen Menschen. Wie in seiner Malerei betonten klare Linien die Kleidung für das geschlechtsneutrale und klassenlose Wesen der Zukunft.

Der chronologische Aufbau der Ausstellung lässt verfolgen, wie die Euphorie des Anfangs später für Propagandakunst instrumentalisiert wurde. "Ab 1931 wird die Zensur flächendeckend eingeführt, und an Fotomontagen, an Plakaten dringt nur noch das durch, was im Sinne des stalinistischen Regimes ist", erklärt die Kuratorin. In Zeiten, in denen Russland immer reaktionärer wird, ist es besonders spannend zu sehen, wie die Jahrzehnte des Aufbruchs in künstlerischer und gesellschaftlicher Hinsicht ausgesehen haben.

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Kunstforum Wien - Liebe in Zeiten der Revolution

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