Konflikt mit Kurden spitzt sich immer mehr zu

Der blutige Kampf zwischen der türkischen Staatsmacht und der kurdischen Terrororganisation PKK im Südosten der Türkei kostet immer mehr Menschen das Leben. Beide Seiten werfen einander schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Immer mehr kurdische Städte stehen unter Ausgangssperre. Ob in den Unruhegebieten am 1. November bei den Parlamentswahlen fair und frei gewählt werden kann, wird von vielen bezweifelt.

Mittagsjournal, 14.10.2015

Beide Seiten werfen einander schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Immer mehr kurdische Städte stehen unter Ausgangssperre. Ob in den Unruhegebieten am 1. November bei den Parlamentswahlen fair und frei gewählt werden kann, das wird von vielen bezweifelt.

Versagen der türkischen Politik

So hört sich mittlerweile der Alltag in immer mehr Städten im Südosten der Türkei an. Meist junge Kämpfer der PKK haben ganze Stadtviertel abgeriegelt, die türkischen Sicherheitskräfte wollen sich mit schweren Waffen wieder Zutritt verschaffen. Zwischen die Fronten gerät die Zivilbevölkerung, die von beiden Seiten unter Druck gesetzt wird. Verhaftungswellen und Ausgangssperren sind an der Tagesordnung. Oft dürfen die Bewohner tagelang nicht auf die Straßen, nicht einmal ihre Toten dürfen sie begraben. Der Oberbefehlshaber der türkischen Luftwaffe hat es jüngst auf den Punkt gebracht: im Südosten gibt es keinen Konflikt, sondern dort herrscht Krieg.

Viele Kurden, die regierungskritische Presse, Teile der Opposition haben den Schuldigen für den neuen Konflikt bereits gefunden: Präsident Erdogan. Seine Partei hat bei der Parlamentswahl im Juni die absolute Mehrheit verloren. Die entscheidenden Stimmen gingen an die pro-kurdische HDP. Als Reaktion habe Erdogan den Konflikt mit den Kurden bewusst eskalieren lassen, um sich bei Neuwahlen als Retter einer zerrütteten Nation zu inszenieren, lautet die wohl zu einfache These.

Denn der Erfolg der pro-kurdischen Linkspartei hat auch die Kämpfer der Terrororganisation PKK erzürnt, sagt Ümit Firat, einer der führenden kurdischen Intellektuellen in der Türkei, der stets versucht hat, sich im Kurdenkonflikt von keiner Seite vereinnahmen zu lassen. „Der Erfolg der HDP stört die Führer der PKK. Denn während die HDP auf ganze legale Weise gewonnen hat und ihren politischen Einfluss versucht zu festigen, fürchtet die PKK um ihre Legitimität. Die PKK-Führung will in Wahrheit keine Demokratisierung. Wenn sie von Autonomie in den Kurdengebieten spricht, dann versteht sie darunter den alleinigen Machtanspruch in dieser Region. Nach dem Motto: die Herrschaft hier gehört uns, wir allein entscheiden was hier passiert.“

Der Bürgerkrieg in Syrien habe die PKK radikalisiert, sagt der Experte. Ihre Kämpfer hätten von der dortigen kurdischen Schwesterorganisation den Stadtguerillakampf gelernt und auch Waffen und Munition erhalten. Die Jugendorganisation der PKK erfreut sich über steigenden Zulauf: „Vor 10 Jahren gab es in den türkischen Kurdengebieten das Bild der Steine werfenden Kinder. Jetzt 10 Jahre später sind die Kinder junge Erwachsene und werfen mit Molotowcocktails. Die türkische Regierung hat große Fehler begangenen. Sie hätte in den Kurdengebieten auf Sozialpolitik setzen und alles versuchen sollen, diese jungen Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Sie hätte Vorkehrungen treffen müssen. Dieses Versagen hat zur jetzigen Situation geführt.“

Dazu kommt ein Friedensprozess, den beide Seiten scheinbar doch nur halbherzig geführt haben. Die Regierung ohne klaren Willen für ernsthafte politische Zugeständnisse an die kurdische Bevölkerung. Die PKK wiederum wollte die Waffen nie abgeben und hat neben den Gesprächen heimlich aufgerüstet. Das Resultat ist eine Spirale der Gewalt, die sich immer schneller dreht und die derzeit scheinbar niemand stoppen kann. Und so drohen auch die bevorstehenden Neuwahlen zum Parlament Anfang November im Südosten des Landes in Gewalt und Chaos zu versinken.