Kurzessay zu Markus 10, 35 – 45

Was der Evangelist Markus erzählte, hört sich für heutige Ohren wie eine bekannte, kindische Streiterei von Männern an. Wer darf Erster sein? Wo werde ich sitzen? Sieht man mich dort auch gut?

Und dazu die Ressentiments der anderen, der Neider, die im Gerangel um Erstreihung den Kürzeren zogen. Und schließlich: Jesus verhält sich alternativ. Ihn beeindrucken religiöse und politische Hierarchien nicht. Ihnen allen haften Korruption, Unterdrückung, Missbrauch von Menschen an. Denn in Hierarchien geht es um die ersten Plätze und darum, sie abzusichern – durch Seilschaften. Und Seilschaften sind immer käuflich, immer auch bereit zum Verrat.

Das ist die traurige Wirklichkeit politischer und religiöser Hierarchien seit Jahrtausenden. Sie werden trotz Jesu Worten ständig reproduziert, in der römisch-katholischen Kirche ebenso wie in den Demokratien Europas. In der Kirche ängstigen sich harte Hierarchen vor Papst Franziskus, dem das Papsttum mit seiner Überfülle an Macht nichts bedeutet im Vergleich zum Blick auf die, die in die Armut getrieben oder überhaupt, wie der Papst in seiner Enzyklika Evangelii Gaudium geschrieben hat, zum Müll gemacht wurden. In der Politik ziehen Ideologien mit mehr oder weniger deutlichem faschistischen Hintergrund bei Wahlen bereits wieder Massen an.

Wenn Jesus heute wiederkäme, wenn er heute wirklich wiederkäme – doch wer zählt schon darauf? Aber genau das ist der springende Punkt: Der Text des Markus erzählt von einer Zeit, die hoch aufgeladen ist von messianischer Erwartung. Nahes Gottesreich ist das eine, der Becher, dem Messias dargereicht, das andere, die angespannte Aufmerksamkeit für das Gebot der Stunde das Dritte. So bildet das Zentrum dieser Geschichte eigentlich nicht ein kindischer Männerstreit, sondern eine Art Spiegelung des Messias Jesus im konkreten Zusammenhang der Frage der Hierarchie. Glaubt man wirklich an Jesus als Messias, dann sind Hierarchien passé, vorbei, abgetan, zu Ende.

Und ich schaue auf die Szenen, die sich politisch bieten, ich schaue auf meine eigene Kirche. Sie zeigt etwas bedrückend Antimessianisches mit ihren steilen Hierarchien, mit ihren unbeweglichen Regeln. Man streitet um Worte, die angeblich entscheidend wären, und verliert die Menschen, um die es geht. Man pflegt ein Archiv von Sätzen, die eine angeblich unwandelbare Wahrheit festhalten, und sagt der Gegenwart immer weniger.

Wenn der Messias kommen sollte, wird er nicht fragen, ob man eine strahlende Position erreicht oder das wichtigste Wort gefunden und für alle Zeiten festgeschrieben hat, sondern ob man die Gebote der jeweiligen Stunde gehört hat und sich den Drecksdienst angetan hat, wenn er notwendig war, um als Christ zu leben. Das zählt allein. Papst Franziskus zeigt das an. Dass der Widerstand gegen ihn vor allem im eigenen Haus nicht geringer wird, spricht für ihn und seine messianisch-hörende Haltung. Sie ist fremd wie auch dieser Text des Markus. Aber beide sind zu verstehen, und beide gehören zusammen: Franziskus ist für mich ein entscheidender Kommentar der heutigen Evangelienstelle.