Merkel will mit Türkei zusammenarbeiten
Die Europäische Union will, dass die Flüchtlinge erst gar nicht nach Europa kommen, sondern möglichst in Jordanien, im Libanon oder in der Türkei aufgefangen und dort registriert werden. Mit der Türkei wurde ein Aktionsplan vereinbart - aber die Umsetzung will sich die Türkei teuer abkaufen lassen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel war in Ankara, um mit Staatspräsident Erdogan zu verhandeln - sowohl über Geld als auch über Tauwetter für die eingefrorenen Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU.
8. April 2017, 21:58
APA/EPA/SEDAT SUNA
Morgenjournal, 19.10.2015
Aus Istanbul,
Die Türkei gilt mittlerweile in Europa als Schlüsselstaat für die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem Besuch der Türkei Milliardenhilfe zur Bewältigung der Flüchtlingskrise in Aussicht gestellt. Ebenso die Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen sowie Visaerleichterungen für türkische Bürger im Schengenraum. Dafür soll die Türkei ihre Grenzen besser sichern und auch Flüchtlinge aus Europa zurücknehmen. Auf einen Aktionsplan haben sich die Türkei und die EU grundsätzlich geeinigt. Viele Details und Fragen bleiben aber offen.
Zwangspartnerschaft
Die deutsche Kanzlerin sieht die Hand zuerst nicht, die ihr der türkische Präsident entgegenstreckt. Sie will sich hinsetzen, bemerkt den Fehler, steht wieder auf zum obligaten Handshake. Und lächelt. Einer der wenigen Lächler. Sonst erscheint die Atmosphäre ziemlich unterkühlt. Ebenso wie die bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland. Doch brauchen Deutschland und Europa die Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise.
Hunderttausende Schutzsuchende sind heuer bereits über die Türkei nach Europa gewandert, mehr als 2 Millionen syrische Flüchtlinge halten sich in den Lagern entlang der syrischen Grenze und in türkischen Großstädten auf. Europa fürchtet, dass auch sie sich in Bewegung setzen könnten. Um das zu verhindern will man der Türkei 3 Milliarden Euro an Hilfe zur Verfügung stellen, um die Integration der Flüchtlinge zu unterstützen: „Wir haben über die faire Verteilung der Lasten gesprochen. Kanzlerin Merkel hat mir gesagt, dass Europa der Türkei helfen muss, weil wir eine große Last übernommen haben“ sagt Präsident Erdogan.
Angela Merkel steht in der Flüchtlingskrise unter Druck und macht in Istanbul eine Reihe an Zugeständnissen. Reisefreiheit und Rückführungsabkommen hängen eng zusammen. Die Türkei will, dass ihre Bürger schon ab Mitte 2016 ohne Visa in den Schengenraum einreisen können. Dafür muss man Flüchtlinge von Europa zurücknehmen, die dorthin über die Türkei gereist sind. Premierminister Davutoglu hat dies zugesagt, will ein Rückführungsabkommen aber nur im Gegenzug für Visafreiheit in Kraft setzen.
Damit Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt werden können, müsste Europa das Land aber als sicheres Herkunftsland einstufen. Und so fürchtet die türkische Opposition, dass Europa künftig etwa bei Verstößen gegen die Presse- und Meinungsfreiheit wegschauen könnte, nur damit die türkische Regierung in der Flüchtlingsfrage mit im Boot sitzt.
Dass der Aktionsplan, auf den sich die Türkei und Europa in den Grundzügen geeinigt haben rasch zur Eindämmung der Flüchtlingsströme führen wird gilt als unwahrscheinlich. Es ist ein erster wichtiger Schritt, seine Umsetzung wird in mehreren Etappen erfolgen und viel Zeit brauchen. Dass sich die Hoffnung der EU ausgerechnet auf den türkischen Präsident konzentrieren entbehrt nicht einer gewissen Ironie. War es doch auch die verfehlte Syrienpolitik der Türkei, die viele für das Flüchtlingsdrama mitverantwortlich machen.