Bildgewaltige Doku "Bei Xi Mo Shuo"
Während der Viennale berichtet das "Kulturjournal" täglich über ausgewählte Filme. Den Auftakt macht die jüngste Arbeit des chinesischen Filmemachers Zhao Liang "Bei Xi Mo Shuo" (Behemoth) - eine bildgewaltige Dokumentation über Umweltzerstörung und extreme Arbeitsbedingungen in der Inneren Mongolei.
8. April 2017, 21:58

Still aus "Bei Xi Mo Shuo"
VIENNALE
Zhao kommt ursprünglich aus dem Bereich der Fotografie und der Videokunst. In seinen Langfilmen setzte er sich unter anderem mit dem chinesischen Rechtssystem oder der Diskriminierung Aids-kranker Menschen in seiner Heimat auseinander. Seine Filme "Petition" und "Together" hatten ihre Premiere 2009 und 2011 bei den Festivals in Cannes und Berlin. "Bei Xi Mo Shou" wurde von Arte Frankreich koproduziert und war heuer schon im Wettbewerb von Venedig zu sehen.
Kulturjournal, 23.10.2015
Service
Viennale - Bei Xi Mo Shou
Heute Abend und am 31. Oktober, jeweils 23 Uhr, Urania
Arte Dokumentarfilmfestival 15. bis 20. November
18. November, 23.05 Uhr
YouTube - Trailer mit (ital.) Besprechung
Dreck in der Lunge statt Rechte
Wie ein Horrorszenario entfaltet sich Liang Zhaos gleichermaßen bildgewaltige wie wortkarge Dokumentation: Kohle- und Eisenminen in der Inneren Mongolei, Hochöfen und Geisterstädte und die Arbeiter, die Liang Zhao in stummen Porträts auf die Leinwand bringt, die kein fließendes Wasser und kaum Rechte haben, aber mit Staub und Dreck belegte Lungen. Die Bilder sprechen hier für sich, wenn Zhao die Hirten und ihre Schafherden auf grün leuchtenden Wiesen filmt, dann den Blick weitet, eine gigantische Mine, LKW Kolonnen und Staubwolken ins Bild holt.
Ursprünglich habe seine Aufmerksamkeit der paradiesischen Steppenlandschaft der Inneren Mongolei gegolten, dann aber habe er die Hölle gesehen, so der Regisseur: "Am Anfang des Projekts ist es mir gar nicht in erster Linie um die Umweltzerstörung gegangen. Ich lebe in Peking, jeder Atemzug ist dort Zeugnis der Umweltverschmutzung, aber was ich dort gesehen habe, war für mich bis dahin unvorstellbar. Ich hoffe aber, dass dieser Film nicht nur ein spezifisch chinesisches Problem beschreibt, sondern universell lesbar ist. Die Ausbeutung von Natur und Mensch ist letztlich immer von der Richtung abhängig, in die sich eine Gesellschaft bewegt. Die Gesellschaft, aber auch jeder einzelne für sich, muss seine Lebensweise reflektieren. Und das gilt nicht nur für China."
Ein von Bergen gefüttertes Monster
Begleitet werden die Bilder von reduzierten Soundclustern und gelegentlich von einem Kommentar, der von einem Monster erzählt, das von tausend Bergen gefüttert wird. Das Monster ist die Industrialisierung, den Preis den Natur und Mensch dafür bezahlen müssen, davon erzählt dieser Film. "Das Schwierigste bei den Dreharbeiten war, die Minenbetreiber zu überzeugen, Zugang zu den Minen mit Team und Kamera zu bekommen. Das war teilweise nicht ungefährlich, weil wir von einer Stelle Genehmigungen bekommen haben, uns dann aber eine andere blockiert hat. Durchgänge wurden versperrt, und zugesagte Termine einfach aus dem Kalender gestrichen. Da war einerseits Hartnäckigkeit gefragt, andererseits habe ich versucht beim Filmen so zurückhaltend wie möglich aufzutreten, um das Endergebnis nicht zu verfälschen."
"Dantes Text und meine Bilder griffen inneinander"
Zhao gibt dem Film dann eine Struktur, indem er seine Schauplätze mit den Stationen aus Dantes "Divina Commedia" gleichsetzt: "Diese Bilder und Dantes 'Divina Commedia' haben erst relativ spät zusammengefunden. Als wir gefilmt haben, hatte ich mit jeder Rückkehr an die Drehorte das Gefühl in die Hölle einzutreten. Und als die Produzenten die ersten Aufnahmen gesehen haben, ist gleich der Vergleich mit Dantes 'Inferno' gefallen. Durch Zufall hab ich dann herausgefunden, dass der Name einer Geisterstadt, in der wir gedreht haben auf Mongolisch 'Paradies' bedeutet. Und als ich die 'Divina Commedia' dann noch einmal gelesen habe, hat mich das Schicksal der Arbeiter an das Fegefeuer erinnert. Es hat sich dann ganz selbstverständlich angefühlt, wie Dantes Text und meine Bilder allmählich ineinandergegriffen haben."
Die Hölle, das sind nicht zuletzt die Hochöfen, in denen das Eisen geschmolzen wird, und wo die Arbeiter ohne Schutzkleidung arbeiten. Das Fegefeuer, das sind die Betten der Krankenhäuser in denen die Arbeiter auf ihren Tod warten, und dementsprechend ernüchternd ist hier auch das Paradies: Monströse Geisterstädte ohne Bewohner, hunderttausende leerstehende Wohnungen und Büros, Straßen, in denen die Ampeln zwar umschalten, aber keine Autos fahren. Zumindest die Arbeitsbedingungen für jene Männer, die die Fassaden polieren sind im Vergleich zu jenen in den Minen, paradiesisch.
Spiegelsysteme in der Landschaft
Immer wieder bricht Zhao die Szenen dann auf, zeigt einen Mann, nackt in Fötal-Stellung stumm daliegend. Und er positioniert Spiegelsysteme in der Landschaft, die seine Panoramaaufnahmen fragmentieren: faszinierende Bilder, die jene Ungläubigkeit noch einmal verstärken, mit denen man auch den dokumentarischen Aufnahmen begegnet. "Ich habe in diesem Film mit meiner üblichen Arbeitsweise gebrochen. Ich wollte unterschiedliche Ebenen kombinieren: Meine Erfahrungen und meine Ästhetik als Videokünstler und Fotograf einerseits, und das dokumentarische Material andererseits. Ich wollte mir so einen Raum schaffen, in dem ich meine Gedanken und Eindrücke frei äußern kann."
"Ohne Arte gäbe es den Film wohl nicht"
Dass er diesen Film überhaupt in dieser Form realisieren konnte, verdanke er dabei dem Umstand, dass "Bei Xi Mo Shou" von Arte Frankreich koproduziert worden ist, so der Regisseur: "Ich hatte das große Glück, dass dieser Film von Frankreich aus produziert wurde, und das Projekt folglich auch nicht von offizieller chinesischer Seite autorisiert werden musste. Sonst gäbe es diesen Film wohl nicht, nicht in dieser Form. Aber wenn wir ihn in China zeigen wollen, dann werden wir uns mit der Zensur konfrontieren müssen."
Bei seiner Premiere in Venedig wurde der Film von chinesischen Medien weitgehend boykottiert. Das überrasche ihn aber nicht, so Liang Zhao damals, denn schließlich zeige er hier die Realität, die sei unbequem, und Unbequemes nun einmal unerwünscht.