"Visual Nation" - Symposion in Budapest
"Das Gespenst des Nationalismus geht um", heißt es in der Einladung zu einem Symposion, das am Wochenende in Budapest stattgefunden hat. Unter dem Titel "Visual Nation" wurden die visuellen Erscheinungsformen dieses neuen alten Nationalismus diskutiert, etwa am Beispiel von Denkmälern und Mahnmalen.
8. April 2017, 21:58
Konzipiert wurde das dichte und facettenreiche Symposion von der Kunsthistorikerin Edit Andras, die in Budapest und New York lebt. Vorträge mit viel Bildmaterial und Führungen boten Einblick in die Bildsprache der wiedererstarkten Nationalismen, zum Beispiel bei der Errichtung neuer Denkmale. Und wie sich zeitgenössische Künstler damit kritisch auseinandersetzen.
EPA/Balazs Mohai
Service
VisualNationConference
Budapest Galeria - Private Nationalism Budapest; bis 13. Dezember 2015
Edit Andras
Kulturjournal, 30.11.2015
Wenn Denkmäler Geschichte umschreiben
Auf dem Freiheitsplatz, nicht weit vom ungarischen Parlament, steht seit dem Sommer 2014 ein neues Denkmal: Es ist nicht riesenhaft, keine monumentale Landmark. Die heftige Kontroverse um die Skulpturengruppe hat aber Kreise bis in westliche Medien gezogen. "Denkmal für die Opfer der deutschen Okkupation" heißt die retro-klassizistische Schöpfung. Ein bronzener Raubvogel, der den deutschen Reichsadler darstellen soll, schwingt sich auf eine androgyne Gestalt herab, die den Erzengel Gabriel darstellen soll, der wiederum die unschuldige ungarische Nation darstellen soll.
András Rényi, der Leiter des Kunstgeschichte-Instituts der Uni Budapest, wirkt angesichts des Monuments immer noch so empört wie vor zwei Jahren, als die Pläne für seine Errichtung durchsickerten. Der Auftrag war ohne Ausschreibung direkt vergeben worden. Wenn die ganze ungarische Nation hier als Opfer der Nazis dargestellt wird, dann werde damit die bereitwillige Mitwirkung ungarischer Behörden an der Deportation von 200.000 Juden ebenso geleugnet wie die europäische Vorreiterrolle der Pfeilkreuzler, der ungarischen Nazis, die ihrerseits im letzten Kriegsjahr Massaker von besonderer Grausamkeit veranstalteten.
Das Denkmal schreibt aber auch noch auf anderen Ebenen Geschichte um, die für Außenstehende weniger offensichtlich sind: Es ist Teil des Bildprogramms zu der vom Orbán-Kabinett verabschiedeten neuen Verfassung. Dort wird die Zeit von der Nazi-Besetzung Ungarns 1944 bis zur Wende 1989 als die Ära bezeichnet, in der Ungarn seine Unabhängigkeit verloren habe. Was das im Klartext bedeutet, erklärt der Kunsthistoriker und Kritiker József Melyi: "Das heißt auch, dass Hitler mit Stalin gleichgesetzt wird. Und mit Kádár. Die ganze ungarische Geschichte von 1944 bis 89 kommt unter einen Hut. Das ist eine undifferenzierte Annäherung an die ungarische Geschichte."
Für die Zeit von 1944 bis 1989 wird die ungarische Nation so zum Opfer fremder Mächte erklärt. Die Symbolpolitik der Fidész-Regierung arbeitet darauf hin, dass diese gleichsam illegitime Ära aus dem historischen Gedächtnis gestrichen und damit auch nicht aufgearbeitet werde; erklärt die Kunsthistorikerin Edit András, die das Symposion "Visual Nation" konzipiert hat. Die Ungarn sollen sich zurückträumen in die 1930er Jahre und dort wieder anknüpfen. So, als ob dazwischen nicht passiert wäre.
Auf dem Kossuth-Platz vor dem Budapester Parlament wird auch das durch neue Denkmäler signalisiert. Oder eigentlich neue alte Denkmäler. Dort standen immer Statuen für den ungarischen 1848er-Revolutionär Lajos Kossuth. Seit den stalinistischen 1950er Jahren blickte ein optimistischer Kossuth in die Zukunft. In jüngster Zeit wurde dieser entfernt und durch eine Kopie der früheren Skulpturengruppe ersetzt, die eher Trauer über die Niederlage in der Revolution ausdrückt. Aber nicht um das Sujet geht es in erster Linie, so Jozsef Melyi: "Ein ganz schlechtes Denkmal und eine schlechte Skulpturengruppe, die damals schon in den 30er Jahren ganz heftig kritisiert worden ist. Das kam jetzt als Kopie zurück. Statt neuen Denkmälern und neuen Programmen und neuen künstlerischen Herangehensweisen stellen wir Kopien her, die eigentlich nichts über unsere Gegenwart sagen."
Geschenkte Denkmäler
Beim Symposion "Visual Nation" zeigte Jozsef Melyi eine lange Reihe von Denkmälern aus verschiedenen Ländern, die bilaterale diplomatische Geschenke waren. Auch heute noch beglückt etwa Aserbaidschan andere Länder mit Alijew-Statuen oder Skulpturen aserbaidschanischer Dichter, die dann irgendwo geparkt werden müssen, um diplomatische Verstimmungen zu vermeiden. Brisanter ist der Denkmalexport, den Vladimir Putin betreibt. In letzter Zeit wurden in Ungarn drei Denkmalprojekte mit russischem Geld finanziert. Eines wurde dann von Putin persönlich eingeweiht: neu renovierte sowjetische Soldatengräber in Budapest. Die dort bestatteten Soldaten waren bei der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands 1956 gefallen.
"Putin hat einen Kranz niedergelegt auf einem sowjetischen Friedhof, wo der Opfer der ‚Gegenrevolution‘ gedacht wird. 1956 wird dort als Konterrevolution dargestellt: Putin hat dieses Narrative dann bekräftigt mit dieser Geste." Die symbolische Zeremonie wirkte auf kritische Beobachter wie ein unterschwellig drohender Wink Putins: Wir sind zurück in Ungarn. Jozsef Melyi betrachtet das als Folgewirkung von Orbans Annäherung an Russland: "Orban hat in den letzten Jahren eine Politik in Richtung Osten verfolgt und kommuniziert. Diese Öffnung nach Osten zieht auch einen Gegenstoß nach sich. Also einen russischen Drang nach Westen. Das bedeutet auch Gefahr für diese Länder, wie die Geschichte zeigt."
Folklore des Vaterländischen Siegs
Der 9. Mai ist in Russland der Gedenktag an den Sieg über das Deutsche Reich. Im vorangehenden "Großen Vaterländischen Krieg" verloren Dutzende Millionen Sowjetbürger ihr Leben. Die jährlichen Erinnerungsrituale daran treiben bisweilen bizarre folkloristische Blüten, wie die russische Kulturhistorikerin Julia Khmelevskaya bei der Tagung demonstrierte: Da paradieren Kleinkinder in Rote Armee-Uniformen und tragen Fotos oder verrostete Helme ihrer gefallenen Vorfahren. Prunkvolle Siegestorten mit essbaren Statuen werden gebacken, Kinderwagen als Pappmaché-Kriegsgerät verkleidet. Und es gibt Aufkleber für Auto-Heckscheiben: Ein Männchen-Piktogramm mit Hammer und Sichel als Kopf beugt sich von hinter über ein anderes Männchen-Piktogramm mit dem Hakenkreuz als Kopf. Der Sticker sieht so aus, als würde der Rotarmist den Nazi-Soldaten von hinten penetrieren. Das hat der Designer der Aufkleber wahrscheinlich nicht beabsichtigt, in einem derart homophoben Land wie Russland, glaubt Julya Khmelevskaya. Hier werde besonders maskulin paradoxerweise mit besonders gay gleichgesetzt.
Die Hochkonjunktur des Nationalismus
Rechtsaußen-Populisten sind in ganz Europa auf dem Vormarsch. Nur tragen sie in Osteuropa eine andere Fassade vor sich her - die der jeweiligen nationalen Mythologien, beziehungsweise deren Zerrbilder. Warum lässt sich in postkommunistischen Staaten die nationale Karte so gut ausspielen? Warum laufen in diesen Ländern so erbitterte Kontroversen über Ereignisse, die oft 100 oder noch viel mehr Jahre zurückliegen? Erklärungen dafür gibt es mehrere.
Die westlichen Nationen sind etablierte Nationen, sagt die Historikerin Julya Khmelevskaya. Der Prozess der nationalen Selbstfindung war im frühen 20. Jahrhundert vielfach abgeschlossen. Die postsowjetischen Staaten müssen dieses Stadium erst durchlaufen, bzw. diesen Weg noch einmal beginnen. Die Sowjetunion zerfiel in verschiedene neue Staaten. Jeder dieser Staaten muss seine eigenen Erklärungen dafür finden, warum das ein unabhängiger Staat und eine separate Nation sein soll.
Die ungarische Kuratorin Zsoka Leposa führt den wiedererstarkten Nationalismus in ihrem Land und generell in Osteuropa vor allem auf die große Verunsicherung der Bevölkerung seit der Wende zurück. Als der Einzug des Neoliberalismus nach 1989 plötzlich einen vorher so nicht bekannten materiellen Überlebenskampf bedingte - da wollten sich die Menschen an etwas Stabiles, gleichsam Ewiges, Starkes und Einfaches halten: Die Nation. "Während 40 Jahren hat man ja in Osteuropa alles fertig bekommen, was zu denken war. Ich denke, das ist das größte Problem, dass wir nicht erlernen konnten, wie man frei denkt. Und die Mehrheit der Ungarn braucht noch immer etwas Einfaches, an das sie sich halten können. Gerade das ist Populismus."