GEMEINFREI
Romanzyklus von Anthony Powell
Ein Tanz zur Musik der Zeit
Als Meisterwerk britischer Gesellschaftsliteratur des 20. Jahrhunderts gilt Anthony Powells zwölf Bände umfassender Romanzyklus "A Dance to the Music of Time". Inspiriert von dem gleichnamigen Bild des französischen Barockmalers Nicolas Poussin, zeichnet darin der 2000 verstorbene Autor ein facettenreiches Bild der englischen Oberschicht vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die späten sechziger Jahre.
3. Dezember 2020, 10:13
ORF/JOSEPH SCHIMMER
Bis 2019 wird der Elfenbein Verlag sämtliche Romane in deutscher Übersetzung herausbringen. Die ersten vier Bände liegen nun vor; im halbjährigen Rhythmus folgen weitere.
"Konversationsliteratur der feinsten Art, die uns mit leichten Geplauder, unerwarteten Tiefgang und auch gelegentlicher Langeweile auf hohem Niveau unterhält."
Man kann Anthony Powells Mehrteiler durchaus als eine Art komödienhafte Langzeitstudie über die britische Boheme, ihre Schriftsteller, Künstler, Poeten, Kritiker und außer Dienst gestellte Persönlichkeiten charakterisieren: Vertreter aller Upperclass-Berufe sind hier versammelt und werden über Jahrzehnte durch die Brille des Ich-Erzählers Nicholas Jenkins gesehen, belächelt, bewundert, oder misstrauisch beäugt.
Powell, Spross aus jener Oberschicht, erzählt von Seinesgleichen mit Grundbesitz, normalen Sorgen und reichlich Silberbesteck im Kasten. Powells Vater war Offizier bei der britischen Armee und schickte den Sohn nach Eton und später nach Oxford. Danach wurde Powell Mitarbeiter in einem Kunstverlag, dem schloss sich eine Brot-Karriere als Drehbuchautor für die Warner Brothers an. Dann kam der Erfolg des Romanciers. Ein bisschen Powell steckt gewiss in jedem der Romane. Vermutlich sind wir dem Autor dicht auf den Fersen, wenn Titelheld Jenkins von einer Wahrsagerin durchleuchtet wird - wie im Roman "Die Welt des Wechsels":
Zitat
"Man hält Sie für kalt, aber Sie hegen tiefe Zuneigungen, manchmal für Leute, die an sich wertlos sind. Sie sind oft uneins mit Menschen, die ihnen helfen könnten. Sie mögen Frauen, und Frauen mögen Sie, aber Sie finden die Gesellschaft von Männern oft unterhaltsamer. Sie erwarten zu viel, und doch geben Sie sich auch zu rasch zufrieden. Sie müssen versuchen, das Leben zu verstehen." Leicht eingeschüchtert durch diese eingehende, ja strenge Analyse, versprach ich, mich in Zukunft zu bessern.
Der Vergleich mit Marcel Prousts "Recherche" liegt nahe, führt aber in die Irre. Proust dehnt die Zeit ins schier Unendliche und scheint zu schweben; bei Powell wechseln die Kulissen robust wie auf einer Bühne. Wie der Titel schon sagt, wird hier zur Musik der Zeit getanzt.
Service
Anthony Powell: "Ein Tanz zur Musik der Zeit", Romanzyklus in 12 Bänden, aus dem Englischen von Heinz Feldmann, Elfenbein Verlag
Die ersten vier Bände des Zyklus - übersetzt von Heinz Feldmann - liegen bereits vor, im halbjährigen Rhythmus folgen weitere.
"Eine Frage der Erziehung", Band 1
"Tendenz: steigend", Band 2
"Die Welt des Wechsels", Band 3
"Bei Lady Molly", Band 4
Die Zeit - Lang lebe die Upperclass!