Kurzessay zu Zefanja 3, 14 – 17
„Tochter Zion, freue Dich, jauchze laut Jerusalem!“ Mit Inbrunst habe ich dieses Adventlied als Kind in der Kirche gesungen.
8. April 2017, 21:58
Oder zu Hause Ivan Rebroff und Mireille Matthieu begleitet, wenn die Mama deren Schallplatten mit diesem Lied aufgelegt hat. „Tochter Zion, freue Dich!“ Das hat bedeutet, dass Weihnachten naht, es war die Verheißung und Vorfreude auf das für mich damals schönste Fest des Jahres.
Keine Ahnung hatte ich, was Zion ist – und Jerusalem war eine Metapher für einen himmlischen Ort, an dem alle meine Wünsche und Sehnsüchte erfüllt sein würden. Und der „Held, der Rettung bringt“ – von dem in dieser Schriftstelle aus dem Buch Zefanja die Rede ist: Das war natürlich Jesus. Wie viele Christinnen und Christen habe ich diesen Text ausschließlich christlich wahrgenommen, gehört und gesungen.
1985 hat die Vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum im Sekretariat für die Einheit der Christen in ihren „Hinweisen und Richtlinien für die richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche“ die Gläubigen angewiesen, dass Juden und Judentum nicht nur einen gelegentlichen Platz am Rande bekommen sollen, sondern in die Unterweisung eingearbeitet werden müssen. Denn diese haben nicht nur historische oder archäologische Bedeutung, sondern eine theologische und spirituelle Relevanz für Christinnen und Christen. Das Judentum ist nicht nur als Erbe bedeutsam: Die stets lebendige Wirklichkeit des Judentums muss für Verkündigung und Unterricht berücksichtigt werden und ist ein zentrales Thema in Pastoral und Seelsorge.
Wie soll ich da nun „Tochter Zion“ metaphorisch singen, als Sinnbild für MEINE christlichen Sehnsüchte? Das ist mir nicht mehr möglich. Denn heute weiß ich, dass ein Text wie der der heutigen Lesung eine politische und religiöse Bedeutung für Jüdinnen und Juden hatte und hat. Heute weiß ich, welche religiöse Bedeutung Jerusalem – das ganz konkrete Jerusalem – für die Mehrheit des Judentums weltweit hat. Ich habe gelernt, dass der Staat Israel auch für Jüdinnen und Juden in der Diaspora einen unverzichtbaren Teil ihrer Identität darstellt.
Zur der Zeit, als der Text verfasst wurde, ging es um die Heimkehr aus dem Babylonischen Exil. Heute geht es um Frieden in einer der umstrittensten, umkämpftesten Regionen der Welt.
Wie soll ich da metaphorisch singen? Wie kann ich ein solches Lied als Christin heute angesichts der Situation im Nahen Osten singen? Wenn ich diesen Text in der konkreten Geschichte verorte, bin ich mit den unzähligen politischen Minenfeldern dort konfrontiert: Terror in Jerusalem und Israel; arabische Länder, die Israel das Existenzrecht absprechen; die noch nicht erfüllte Aspiration der Palästinenser auf einen eigenen Staat. Was kann „Tochter Zion, freue Dich!“ da bedeuten?
Es gibt hier keine einfachen Antworten. Für diesen Sonntag höre ich den Text im Modus jener Hoffnung und des Gottvertrauens, die dieser Text atmet. Als Christin höre ich ihn verbunden mit dem jüdischen Volk. Als Christin höre ich ihn auch verbunden mit allen Menschen, die in dieser Region leiden und jenen, die sich für Frieden und Versöhnung in dieser Region einsetzen.