Dokumentarischer Roman von Steve Sem-Sandberg
Die Erwählten
Nach dem Ulrike-Meinhof-Roman "Theres" und dem KZ-Roman "Die Elenden von Lodz" handelt der jüngste Roman des schwedischen Autor Steve Sem-Sandberg von der Jugendfürsorgeanstalt "Am Spiegelgrund", wo in der NS-Zeit Kinder und Jugendliche ermordet wurden.
8. April 2017, 21:58
"Ein dichter und verstörender Roman über die Abgründigkeit des Menschen."
Adrian Ziegler ist der fiktive Protagonist, dessen Schicksal eng an das des realen NS-Fürsorgeopfers Friedrich Zawrel angelehnt ist. Er wird im Jänner 1941 in die Pflegeanstalt in Wien-Steinhof eingeliefert. Anhand seines Schicksals zeigt Sem-Sandberg, was Tausenden Kindern zwischen 1940 und 1945 am "Spiegelgrund" widerfahren ist: Sie wurden systematisch gedemütigt, gequält und gefoltert, mindestens 789 Kinder und Jugendliche wurden im Rahmen des NS-Euthanasieprogramms ermordet. Adrian Ziegler alias Friedrich Zawrel hatte Glück: er überlebte.
Sem-Sandberg arbeitet in seinem Roman eine altbekannte Entlastungsstrategie heraus: die Schuldumkehr. Auch wenn Euthanasieschwestern wie Anna Katschenka nach dem Krieg eine gewisse Schuldeinsicht zeigten - die Todesschwester wurde 1948 zu acht Jahren schwerem Zuchthaus verurteilt - sie fühlten sich dennoch in erster Linie: als Opfer.
Er habe einen Roman nicht über die Banalität, sondern die "Normalität des Bösen" geschrieben, erklärt Sem-Sandberg. Der schwedische Romancier schildert das unerhörte Geschehen auf dem "Spiegelgrund" in multiperspektivischer Plastizität, die einem während der Lektüre immer wieder das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Service
Steve Sem-Sandberg, "Die Erwählten", Roman, aus dem Schwedischen von Gisela Kosubek, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 524 Seiten
Originaltitel: "De utvalda"