Gespräch mit Wolfgang Müller-Funk

"Roland Barthes" von Tiphaine Samoyault

Anlässlich des 100. Geburtstags des Sprach- und Literaturtheoretikers Roland Barthes (1915 bis 1980) ist im Dezember die Biografie von Tiphaine Samoyault erschienen. Ö1 hat darüber mit dem Kulturwissenschaftler Wolfgang Müller-Funk gesprochen.

Roland Barthes

Roland Barthes (1915-1980), aufgenommen im Jahr 1973.

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Tiphaine Samoyault, "Roland Barthes - Die Biographie", aus dem Französischen von Maria Hoffmann-Dartevelle und Lis Künzli, Suhrkamp Verlag

Bei Suhrkamp liegt das gesamte Werk von Roland Barths in deutscher Übersetzung vor. Das bekanntestes Buch ist wohl "Fragmente einer Sprache der Liebe". Dieses ist nun in einer neuen, erweiterten Fassung herausgekommen. Texte daraus können Sie morgen, am 18. Jänner um 11.40 Uhr in den "Radiogeschichten" hören.

Roland Barthes und die Postmoderne gehören irgendwie zusammen, seit Barthes den Tod des Autors proklamiert hat. Das war 1968, ist oft missverstanden worden, war aber eine eindeutige Absetzbewegung vom Ideal der Moderne, wonach das Kunstwerk als geschlossenes System zu betrachten sei. Barthes hat nichts anderes getan, als die traditionelle Auffassung vom Autor als sinnstiftende Instanz zurückzuweisen. An ihre Stelle soll der sogenannte Skriptor treten, eine Art Übersetzer, der erst bei der Lektüre in Erscheinung tritt und damit zwischen Autor und Leser steht.

Umberto Eco, der sich zur gleichen Zeit wie Roland Barthes mit Semiotik - also der Lehre der Zeichen - beschäftigt hat, hat diesen Vorgang folgendermaßen beschrieben: Jeder Text entsteht vollgültig erst durch die Interaktion eines Lesers. Um eine Geschichte entstehen zu lassen, braucht es einen Lector in fabula - eine Übersetzerinstanz, die genau dem Skriptor von Roland Barthes entspricht. Und dann gibt es in jedem Text Leerstellen, die erst durch den Leser mit Bedeutung gefüllt werden müssen. Erst dadurch entsteht ein vollständiger Text. Das Füllen der Leerstellen ist nicht beliebig. Sie müssen so gefüllt werden, dass dem Text ein Sinn entnommen werden kann. Dies wird zu einem komplexen Unterfangen, da wir den meisten Texten mehrere Sinnebenen zubilligen.