Werkausgabe in 22 Bänden

Gedichte von Thomas Bernhard

Ein unnahbarer Grenzgänger der österreichischen Literatur, der all seinen Unmut mit einer einzigen bitteren Litanei aus Schachtelsätzen Ausdruck verlieh, war Thomas Bernhard. Dass seine ersten drei publizierten Bücher Lyrikbände waren, ist wenig bekannt. Der 21. Band der bei Suhrkamp erschienenen Werkausgabe umfasst sämtliche Gedichte des Dichters.

Thomas Bernhard war gerade einmal zwanzig Jahre alt, als er glaubte, seine Bestimmung als Lyriker gefunden zu haben. In österreichischen und deutschen Tageszeitungen brachte er seine ersten Schreibversuche unter - hymnisch jubelnde Ausrufe zur Feier des Daseins und strahlenden Überhöhungen von Land und Menschen. "Die Wäsche flattert auf dem Strick/und drüber träumt ein Mensch vom Glück", heißt es einmal, bei anderer Gelegenheit kann es schon passieren, dass "vor der Nacht … das Tannholz kracht".

Die ersten Probeläufe sind auf 1948 zu datieren. 1957 erscheint der erste Gedichtband "Auf der Erde und in der Hölle" im Otto Müller Verlag, im Jahr darauf folgen zwei weitere, "In hora mortis" und "Unter dem Eisen des Mondes"; um 1960 fällt der Entschluss, mit der Lyrik aufzuhören.

In seiner ersten Buchveröffentlichung, fünf Jahre nach den ersten Gedichten in Zeitungen, haben sich Charakter und Tonfall der Lyrik vollkommen gewandelt. Die Gedichte werden düster. Die Stuben sind finster, die Fenster morsch, das Dorf ist schwarz, das Schwein angekettet, und wenn jetzt Hände gefaltet werden, dann nicht mehr aus Andacht und zur Besinnung, sondern wir "falten die Hände vor der Verachtung des Vaters".

Bernhards Gedichte sind die Vorschule seiner später so markant ausgearbeiteten Ästhetik des Ungeheuren. Mit Blick auf seine Romane und Theaterstücke lesen wir, wie sich früh ein Bewusstsein ausbildet, das ein besonderes Sensorium für Verstörungen aufweist. Vor allem erkennen wir den unbedingten Willen eines jungen Menschen, sich die Sprache gefügig zu machen, um über die unheimlichen Vorgänge in den Seelengebirgen der Menschen Auskunft zu erstatten. Der Singulär der deutschen Literatur war keiner in der Lyrik. Vieles kommt wie aus zweiter Hand über uns, aufgedonnert und überdreht wirken die Gedichte obendrein. Wir brauchen sie aber, wenn wir Thomas Bernhard ganz haben wollen.

Service

Thomas Bernhards, "Gedichte", Raimund Fellinger (Hg.), 21. Band der Werkausgabe, Suhrkamp Verlag