Eine Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert
Ich ist nicht Gehirn
Sind unsere Entscheidungen von Hirnstrukturen und Botenstoffcocktails bestimmt? Jedenfalls nicht, wenn es nach dem jungen deutschen Philosophieprofessor Markus Gabriel geht. Sein Buch "Ich ist nicht Gehirn" ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Geisteswissenschaften. Er entwirft eine Theorie des Bewusstseins, die es mit der Hirnforschung aufnehmen will.
8. April 2017, 21:58
Kontext, 22.01.2016
Servcie
Markus Gabriel, "Ich ist nicht Gehirn. Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert", Ullstein
Das Fatale an derzeit populären Wissenschaftszweigen wie der Evolutionsbiologie oder der Hirnforschung ist, dass sie die Welt so sagenhaft plausibel erklären können. Warum verhalten wir uns manchmal altruistisch? Weil es der Gattung nutzt und unsere hominiden Vorfahren in der Savanne ohne Teamwork bei der Jagd nicht hätten überleben können. Warum macht die Liebe glücklich? Weil bei zarter Berührung das so genannte Kuschelhormon Oxytocin im Hirn ausgeschüttet wird und die Neuronen im limbischen System zu tanzen beginnen.
Dem unguten Gefühl aber, dem Zweifel, dass irgendetwas an solchen Erklärungsmustern in die Irre führt, liefert das Buch von Markus Gabriel eine gute und flott geschriebene Argumentationsbasis. Es wendet sich klar gegen die – wie der Autor sie nennt – derzeit grassierende „Darwinitis“ und „Neuromanie“.
"Ich ist nicht Gehirn" ist flüssig und verständlich geschrieben. Markus Gabriel liebt Beispiele und ist ein Filmliebhaber, weshalb er so manches philosophische Problem auch anhand von Fernsehserien erläutert. Einiges im Text gerät dabei zu locker und manche Argumentationslinie läuft auch aus dem Ruder. Insgesamt aber ist das Projekt anspruchsvoll, denn Gabriel gelingt es, einen Pluralismus von Welten und Weltsichten zu zeigen, ohne in ein postmodernes "anything goes" zu verfallen.
Er kann ein Modell von Freiheit denken, das Determiniertheit und naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit einbezieht – ohne sich aber auf sie reduzieren zu lassen. Verdienstreich ist auch, dass hier einer aus der hehren Zunft der Universitätsphilosophie sich nicht zu schade ist, polemisch und popularisierend gegen die – wie Gabriel sie nennt – "Bauklötzchenmetaphysik" – eines ideologisch-verkürzten Weltbildes anzugehen. Es war an der Zeit, dass solch ein Buch erscheint.