Roman von Orhan Pamuk
Diese Fremdheit in mir
Den Straßenverkäufer Mevlut hat sich Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk ausgesucht, um seine Stadt ein weiteres Mal zu porträtieren. In seinem neuen Roman "Diese Fremdheit in mir" lernen wir - im Gegensatz zu seinen Vorläufern - die sich rasant wandelnde Metropole Instanbul aus der Perspektive der armen Schlucker kennen.
8. April 2017, 21:58
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Orhan Pamuk, "Diese Fremdheit in mir", Roman, aus dem Türkischen von Gerhard Meier, Hanser Verlag
Während der Hochzeit eines Verwandten blickt Mevlut kurz in die Glutaugen der jungen Samiha und schreibt ihr ab da jahrelang schmachtende Liebesbriefe. Was er nicht weiß ist, dass diese in Wirklichkeit an deren weniger hübsche Schwester Rayiha adressiert sind, weil ihm sein eifersüchtiger Cousin einst den falschen Namen nannte. Als Mevlut das Mädchen mit dessen Einverständnis entführt - die einzige Methode für einen Mittellosen an eine Braut zu kommen - bemerkt er zwar seinen Irrtum, fügt sich aber in sein Schicksal und heiratet Rayiha trotzdem. Die Ehe wird glücklich.
Erzählt wird das von Familienmitgliedern und Freunden des Paares, die in Ich-Form ihre Beobachtungen und Kommentare vielstimmig, mitunter widersprüchlich über die jungen Leute abgeben. Es entsteht eine Kaleidoskop-artige Sicht auf das Innenleben zweier Familien. Für die europäische Leserin beklemmend ist dabei die Unfreiheit der weiblichen Figuren.
Zitat
Wenn er aus dem Haus war, habe ich erst mal den Lehmboden gekehrt, und nach etwa einem Monat habe ich gemerkt, dass vom vielen Kehren die Zimmerdecke immer höher wurde.
Die sich selbst immer tiefer eingrabende Frau und das Bild von der monotonen Häuslichkeit als ein Grab stehen merkwürdig unentschieden neben Schilderungen erotischen Eheglücks.
Das Historische und das Alltägliche, das Gesellschaftliche und das Private verbindet der Nobelpreisträger von 2006 einmal mehr meisterhaft. Weniger gelungen ist die Erzählperspektive. Die vielen Figuren, die in Ich-Form erzählen, bleiben meistens aus Papier. Denn nicht organisch eingefügte Dialoge oder für sich stehende Gedankenströme geben sie von sich, sondern kleine Ansprachen an den Leser, was manchmal etwas betulich wirkt. Zudem sind sie alle – zumindest in der deutschen Übersetzung – sprachlich ununterscheidbar und werden daher nicht wirklich plastisch. Anders als die Stadt Istanbul, in deren vielstöckigen Betonburgen die Dörfler am Ende hocken, den Blick zum Bosporus verstellt und von einem Garten träumend.