Türkei: Polizeigewalt gegen kritische Zeitung
Nach der Anordnung der Zwangsverwaltung hat die türkische Polizei den Sitz der regierungskritischen Zeitung "Zaman" gewaltsam übernommen. Die Polizei setzte am Freitagabend Tränengas und Wasserwerfer gegen hunderte Demonstranten ein, die sich vor dem Gebäude in Istanbul versammelt hatten, und drang dann in das Gebäude ein. Die Zeitung steht einem Erzfeind von Staatschef Recep Tayyip Erdogan nahe.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 5.3.2016
Aus Istanbul,
AFP/AKIF TALHA SERTTURK
Vom Unterstützer zum Feind
Die Polizei hatte Überwachungskameras im Gebäude abgeschaltet, um Live-Bilder vom Einsatz zu verhindern. Die Mitarbeiter wurden aufgefordert, das Haus zu verlassen.
Die Demonstranten hielten Plakate mit der Aufschrift "Wir kämpfen für eine freie Presse" und "Wir werden nicht schweigen" hoch. Zuvor hatte ein Istanbuler Gericht die Einsetzung eines neuen Managements bei "Zaman" (Zeit) angeordnet. Das Blatt ist mit nach Branchenangaben rund 650.000 Exemplaren täglich die auflagenstärkste Tageszeitung des Landes. Das Flaggschiff der Bewegung von Fethullah Gülen ist eine der führenden regierungskritischen Zeitungen des Landes.
Der mittlerweile in den USA lebende islamische Geistliche gehörte lange zu Erdogans Unterstützern, überwarf sich aber vor einigen Jahren mit dem heutigen Präsidenten. Seitdem wirft Erdogan der Gülen-Bewegung regierungsfeindliche Umsturzpläne vor, was die Bewegung zurückweist. Gülens "Hizmet"-Bewegung ist in der Türkei inzwischen zur Terrororganisation erklärt worden.
In den vergangenen Monaten waren die türkischen Behörden bereits gegen andere Medien aus dem Umfeld der Gülen-Bewegung vorgegangen. Gülen wird vorgeworfen, "parallele Strukturen" - also einen Staat im Staate - in der Türkei gegründet zu haben mit dem Ziel, Erdogan zu entmachten. Eine offizielle Begründung für die Anordnung einer Zwangsverwaltung bei "Zaman" lag zunächst nicht vor.
Die USA sprachen von einer "beunruhigenden Serie" des Vorgehens gegen Medien und Regierungskritiker in der Türkei und erinnerten daran, dass Meinungs- und Pressefreiheit in der Verfassung festgeschrieben sei. Die Behörden müssten dafür sorgen, dass ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassung stünden, sagte der Sprecher des US-Außenamtes, John Kirby.
Kritiker werfen Erdogan vor, die Meinungsfreiheit in der Türkei mit inzwischen fast 2.000 Beleidigungsklagen und Druck auf Journalisten und Medien immer weiter einzuschränken.
Türkei brüskiert EU
Wenige Tage vor dem gemeinsamen Gipfel der EU mit der Türkei brüskiert die Regierung des islamisch-konservativen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit der Kontrolle über die größte regierungskritische Zeitung des Landes die EU. Kein Präzedenzfall, denn in den vergangenen Monaten ist man bereits gegen mehrere kritische Medien vorgegangen und hat diese auf Regierungskurs gebracht. Gegenüber der EU ist Erdogans Vorgehen ein deutliches Signal: Er kann sich alles erlauben.