Gespräch mit Sigrid Löffler

"Satin Island" - Roman von Tom McCarthy

Ein beunruhigend brillanter, schwer ausdeutbarer Roman, mit dem sich der britische Avantgarde-Künstler und Experimental-Autor Tom McCarthy nichts Geringeres vorgenommen hat als dies: unsere Epoche auf den Punkt zu bringen, deren zugrundeliegende Codes zu knacken und das Zeitalter in toto in einem Großen Bericht zu definieren.

Buchcover "Satin Island"

DVA

Service

Tom McCarthy, "Satin Island", Roman, aus dem Englischen von Thomas Melle, DVA

Als Autor dieses Großen Berichts ist McCarthys kafkaesker Romanheld U. beauftragt, der hausinterne Anthropologe einer weltumspannenden Unternehmensberatung. Diese Firma berät andere Firmen beim Kontextualisieren ihrer Produkte und Serviceleistungen und Städte in Sachen Branding und Rebranding; und sie hilft Regierungen, ihren politischen Agenden das passende Narrativ zu liefern. Kurz: Die Firma handelt mit Narrativen, die mithilfe von Zukunfts-Szenarios für die Gegenwart plausibilisiert werden.

Tom McCarthy ist ein mit allen Wassern der französischen Literaturtheorie gewaschener Kultur-Diagnostiker, zudem Generalsekretär des von ihm gegründeten semi-fiktiven Avantgarde-Netzwerks "International Necronautical Society". Überdies ist er ein selbstironischer, smarter und eleganter Erzähler. Sein vierter Roman "Satin Island" ist imprägniert mit Anspielungen und Zitaten, ist ein Buch aus Büchern. Es enthält, wie Tom McCarthy im Nachwort vergnügt einräumt, "Hunderte von Anleihen, Echos, Remixen und direkten Wiedergaben". Mag der Leser sich selbst auf die Suche nach den Quellen machen.

McCarthy balanciert immer haarscharf auf der Grenze zwischen Futurismus und Satire, zwischen Ernst und Spott, plausibel klingendem Zukunfts-Design und subtilem höherem Blödsinn.