Demografie-Experte über Bildung und Islam

Die Konfliktlinie des 21. Jahrhunderts verläuft nicht zwischen christlichen und muslimischen Völkern, sondern zwischen Gebildeten und Ungebildeten - sagt Reiner Klingholz, der Leiter des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.

Morgenjournal, 22.3.2016

Er hat das in seinem neuesten Buch mit dem Titel "Wer überlebt? - Bildung entscheidet über die Zukunft der Menschheit" untersucht, in dem es um die Geschichte der Bildung inklusive Buchdruck und Reformation geht, über die Bildungsfeindlichkeit radikalislamischer Gruppierungen, bis hin zu der weltweit größten Universität, die derzeit in Katar im Entstehen ist.

"Zugang zum Wissen 300 Jahre verwehrt"

Der Name der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram heißt so viel wie "Bücher sind Sünde" und bedeutet eine klare Absage an die westliche Bildung. Die Ablehnung von Bildung hat Tradition in islamischen Ländern: bereits als Gutenberg den Buchdruck erfand, verbot der Sultan von Konstantinopel die Druckerpresse. Dieses Druckverbot galt für den ganzen arabisch-osmanischen Raum, während in Europa Reformation, Französische Revolution und Aufklärung tobten, wie Reiner Klingholz erklärt. "Man wollte kein zweites Buch neben dem Koran haben. In dieser Zeit ist dieser enorme Abstand entstanden, denn der Zugang zum Wissen, zum Lesen und Schreiben, war der arabischen Welt für 300 Jahre lang verwehrt."

Nicht alle bildungsfeindlich

Das heißt aber nicht, dass der Islam an sich bildungsfeindlich ist. Denn es gibt auch Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit wie Indonesien oder Malaysia, die Bildung schätzen oder Bangladesch, wo dank der Bildung die Wirtschaft stark wächst. Auch in den reichen arabischen Staaten setzt man neuerdings auf Bildung, wie in Katar, wo die flächenmäßig größte Universität der Welt im Entstehen ist. Das verhindert nicht, dass die Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolventen selbst in einem Land wie Saudi Arabien bei 40 Prozent liegt. "Was man heute braucht - technische Wissenschaften, Ingenieurswissenschaften und auch das Unternehmertum, alles das, was die Europäer über lange Zeit lernen mussten -, ist dort noch nicht verbreitet", erklärt Klingholz.

Wege aus der Bevölkerungswachstumsfalle

So ist es kein Zufall, dass im gesamten arabischen Raum 2013 nur 1.800 Patente angemeldet wurden, während es in Israel fast 5.000 waren. Aber Bildung bringt nicht nur die Wirtschaft durch Erfindungen in Schwung, sie hemmt auch das Bevölkerungswachstum. Als Nigeria in den 1970er Jahren in Bildung investierte, verlangsamte sich das Bevölkerungswachstum deutlich. Denn gebildete Frauen gebären weniger Kinder, weil sie andere Perspektiven haben. Daher ist Bildung die Herausforderung der Zukunft für die Eliten arabischer und afrikanischer Staaten, wie Klingholz sagt.

Bildung allein wird die Welt nicht retten. Es müssen auch Arbeitsplätze und solide rechtliche Strukturen geschaffen werden. Ohne Bildung werden viele Länder aber verloren sein. Das wird Europa an den Flüchtlingsströmen merken. "Bis 2050 werden viele Länder Afrikas ihre Bevölkerung verdoppeln oder sogar verdreifachen", betont der Experte, "daher brauchen sie einen ungeheuren Ausbau der Schulinfrastruktur. Das ist der entscheidende Weg, damit die Länder aus ihrer Bevölkerungswachstumsfalle und aus der Nichtentwicklungsfalle entwickeln können."

Service

Reiner Klingholz, Wolfgang Lutz, " Wer überlebt? - Bildung entscheidet über die Zukunft der Menschheit", campus

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