Dario Fo über Gott und die Religion

Wenn ein Atheist über Gott schreibt: "Dario e Dio" lautet der Titel des neuen Buches von Literaturnobelpreisträger Dario Fo. Das Interesse an allem Religiösen und Heiligen bestehe seit seiner Kindheit, erklärt der 90-Jährige Autor. Auch wenn der Glaube sich nicht einstellte, die Faszination ist geblieben.

Dario Fo empfängt in seiner Mailänder Wohnung. Der Termin hätte schlechter nicht fallen können. Soeben hat der Maestro erfahren, dass einer seiner besten Freunde verstorben ist: Gianroberto Casaleggio, Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung und - wie es immer wieder hieß - deren Gehirn. Über diesen für ihn schweren Verlust will Dario Fo vor dem Mikrofon nicht sprechen.

Ob er das Interview absagen möchte? Nein, antwortet er mit einer Umarmung. Und sagt dann, warum er sich für die Polit-Bewegung und ihren Frontmann Beppe Grillo einsetzt: "Die Fünfsternebewegung ist die einzige Bewegung, die aus der Reihe tanzt, die aus der Logik des Eigennutzes ausbricht. Sie ist eine Bewegung, die sich dafür einsetzt, die Verfolgten zu verteidigen; jene Menschen, die oft ihre Würde verlieren, weil sie ihnen einfach entrissen wird. Weil ihnen nicht erlaubt wird, sich frei zu fühlen. Menschen, die wie Untertanen, nicht wie Bürger behandelt werden."

Buch ist "Rückkehr zu den Wurzeln"

Der Anlass für unser Gespräch ist jedoch ein anderer: nämlich sein jüngstes Buch, "Dario e Dio" (Dario und Gott). Ein ungewöhnliches Thema für einen "militanten Atheisten", wie er sich selbst im Klappentext präsentiert? Nur scheinbar, sagt der Autor. Das Interesse an allem Religiösen und Heiligen bestehe seit seiner Kindheit. Die nicht gläubigen Eltern schickten ihn in den Religionsunterricht. Auch wenn der Glaube sich nicht einstellte, die Faszination ist geblieben.

"Meine Arbeit am Theater hat genau damit begonnen", erzählt Fo, der im italienischen Sangiano zur Welt kam. "Ich habe mich speziell mit dem Thema Religion auseinandergesetzt. Dabei griff ich auf das Spiel mit der Ironie, dem Sarkasmus und der Satire zurück, das so typisch für den Ort ist, wo ich geboren wurde. Das Buch ist für mich daher eine Rückkehr zu meinen Wurzeln."

Was Worte nicht vermögen, wird gemalt

Der Maestro, wie er von seinen jungen Mitarbeitern genannt wird, hat für unser Gespräch zwischen Farbtiegeln und Gemälden Platz genommen. Neben ihm ein von ihm verfertigtes Porträt der 2013 verstorbenen Franca Rame - Ehefrau, Kollegin, Muse und Mitstreiterin in vielen gesellschaftspolitischen Anliegen. "Ja, ich male seit Jahrzehnten", bekräftigt er. Was Worte nicht vermögen, das drücke er mit Pinsel und Farbe aus.

Damit hat er schon 1997 - bei der Verleihung des Literaturnobelpreises - die Anwesenden beeindruckt. Und erheitert. Überhaupt: Das Lachen, die Groteske, die Satire - das ist für ihn wichtig. "Die Satire schafft jedem Einzelnen die Möglichkeit sich weiterzuentwickeln. Die Satire macht Kritik und Ironie möglich. Man bekommt einen genaueren Blick und kann die Dinge analysieren. Vermeintliche Tatsachen werden dabei auf den Kopf gestellt. Dann kann man versuchen, die Wahrheit zu erkennen. Denn das Problem ist das Erkennen der Wahrheit."

Christus und die Frauen

Deswegen haben er und Franca sich an vielen Fronten engagiert, erzählt er: Für einen gerechten Frieden im Nahen Osten, für eine bessere Politik im eigenen Land - legendär sind ihre Berlusconi-Persiflagen - sowie für mehr Frauenrechte, um nur einiges zu nennen.

A propos Frauen: Die Frauenfrage in der Kirche spielt auch in seinem Buch eine Rolle: "Als Christus sozusagen auf der Bühne erscheint, zeigt sich sofort seine Neigung, ja sogar seine außergewöhnliche Liebe den Frauen gegenüber", betont Dario Fo. "Er verteidigt sie, er beschützt sie, er heilt sie, er rettet sie davor, gelyncht und gesteinigt zu werden. Und vor allem ist er verständnisvoll, ist voll von Liebe und Vergebung gegenüber jenen, die von der Gesellschaft ausgeschlossen werden; vor allem die Prostituierten."

"Vom Heiligen Franziskus beeinflusst"

Der Schauspieler und Kritiker Fo sieht sich gern in der Tradition der Gaukler. Und so ist es kein Zufall, dass sein bevorzugter Heiliger Franz von Assisi, der Gaukler Gottes. "Ich bin vom Heiligen Franziskus beeinflusst. Er sagte, dass die einfachsten Dinge, die nichts kosten, auch die eigentlichen Wunder sind. Aber man muss sie erkennen. Es sind jene Dinge, die du erhältst, ohne dafür bezahlen zu müssen, für die man sich nicht anstrengen muss. Das sind die Sonne, die Luft, das Licht, das Wasser. Ja, das Wasser, für das inzwischen sogar bezahlt werden soll. Also: Das Drama unserer heutigen Gesellschaft ist das: Wir zerstören diese wunderbaren Werte, die Gott - wenn wir seine Existenz akzeptieren - geschaffen hat. Aber nicht damit sie bezahlt werden, sondern als Gabe seiner Existenz - wenn es ihn gibt."

Papst Franziskus, ein "Mann mit Mut"

Und wie sieht Dario Fo den ersten Papst, der sich Franziskus nennt? "Dieser Papst ist ein Mann mit einem unglaublichen Mut, demselben Mut, den auch der Heilige Franziskus besaß. Der Papst bedient sich auch dessen Sprache. Er greift auf seine Modelle, seine Wortwahl bei den Reden; ja, seine Lebenseinstellung zurück. Die Fragen sind: Wofür soll man sich im Leben entscheiden, wer will man sein, wem will man ähnlich sein oder welchen Ideen oder Realitäten folgen? Und vor allem in einem sind sie gleich: in der Suche nach Gerechtigkeit und Ehrlichkeit."

Gerechtigkeit und Ehrlichkeit sind für Dario Fo in jeder Gesellschaft, die sich selbst ernstnimmt, unverzichtbar. Ein weiteres grundlegendes Element ist die Information. "Ich denke, das Schlimmste für ein Volk ist, wenn es von der Information abgeschnitten ist, in der Unwissenheit bleibt. Und damit jenen einen Vorteil einräumt, die die Macht in Händen haben. Informiert sein, heißt aber auch, zu wissen wer man ist und wohin man geht. Das gibt auch die Freiheit, sich an den wichtigsten Dingen der menschlichen Existenz erfreuen zu können."

Stichwort Freude. Da darf bei Dario Fo eines nicht fehlen. Die Musik, sagt er, und dabei hellen sich seine Augen auf: "Wissen Sie, ich bin ja selbst Musiker. Ich habe es verbrieft, dass ich komponieren darf. Musik ist daher auch mein Beruf. So habe ich auch viele Werke umgesetzt, auf die Bühne gebracht. Rossini zum Beispiel. Und das hat mir enorme Freude bereitet, in mir so viele Emotionen ausgelöst."

Zwiegespräch mit Gott

In seinem Buch setzt sich Dario Fo intensiv und augenzwinkernd mit dem Gottesbild auseinander; zeigt seine Bewunderung für Jesus und für Maria. Der Atheist Fo lässt seinen Blick aber auch über die Grenzen des irdischen Daseins hinausschweifen. Dann sieht er seine geliebte Franca in einem schönen Garten, fragt sie um Rat.

Glaubt er doch an das Jenseits? "Ich bin ein Anhänger Darwins. Ich will also immer verstehen, was und warum etwas passiert. Doch leider muss ich mir in vielen Fällen eingestehen: Ich verstehe nichts mehr. Und das bestürzt mich: Es berührt mich und lässt mich zweifeln. Aber gut: Es lebe der Zweifel. Ja, es lebe der Zweifel."

Am Ende seines Buches stehen Dario Fos Gedanken zur Sixtinischen Kapelle und zu Michelangelos "Jüngstem Gericht". Hier tritt er mit Gottvater ins Zwiegespräch - launig, wie es eben seine Art ist. Ein mögliches Wiedersehen der beiden? "Vielleicht", meint er. Aber: "je später desto lieber."

Service

Dario Fo, Giuseppina Manin, "Dario e Dio", Guanda