"Remember" - ein Thriller von Atom Egoyan
Rätsel und Geheimnisse rund um die Identität von Menschen sind ein verbindendes Element in fast allen Filmen von Atom Egoyan - so auch im neuen Werk des armenisch-kanadischen Regisseurs. In "Remember" macht sich ein dementer KZ-Überlebender auf die Suche nach seinem einstigen Peiniger und erlebt dabei so manche Überraschung.
8. April 2017, 21:58
Hochgradig die Besetzung mit Christopher Plummer in der Hauptrolle und kurzen, aber prägnanten Gastauftritten von Bruno Ganz und Jürgen Prochnow.
Kulturjournal, 10.5.2016
Rudy Kurlander, so soll er heißen, der Mann der die Familie des fast 90-jährigen Zev Guttmann (Christopher Plummer) in Auschwitz ermordet hat. Zev hat überlebt, danach sein Leben in den USA verbracht, zuletzt in einem Altersheim in New York. Doch die Vergangenheit hat ihn nicht losgelassen, auch nicht der Drang nach Vergeltung. Und so macht er sich auf, auf die Suche nach Rudy Kurlander. Das Problem: Es gibt, so die Recherchen des Simon Wiesenthal Centers, vier Männer mit diesem Namen in den USA und Kanada - doch wer ist der Richtige?
Erinnerung und Trauma
Roadmovie und Thriller, Geschichtsbetrachtung und Gegenwartsanalyse, psychologische Persönlichkeitsforschung und Bravourstück in Sachen Manipulation - all das packt Atom Egoyan in seinen Film "Remember". Den Titel macht Egoyan zum programmatischen Herzstück seines Films: "Ich bin fasziniert von der Erforschung der Beziehung zwischen Erinnerung und Trauma. Der Kinozuseher glaubt ja, dass Zev unter seinen Erinnerungen an die Vergangenheit leide, obwohl er auch demenzkrank ist. Doch dann stellt sich heraus, dass er in Wirklichkeit schwer traumatisiert ist - das ist etwas ganz anderes. Etwas vergessen ist das eine, doch wenn man es aufgrund eines Traumas mit unterdrückten Erinnerungen zu tun hat, dann ist das eine ganz andere Sache."
Groteske Züge
So mancher Fehlgriff bei der Suche, exemplarisch der Besuch bei einem Neo-Nazi, bringt Zev in die Bredouille. Dass Drehbuchautor Benjamin August die Hauptfigur aber nicht nur aus der Tragik der Vergangenheit, sondern auch aus gegenwärtiger Hilflosigkeit, Verwirrtheit, Naivität und Unbedarftheit heraus konstruiert, verleiht manchem Auftritt einen mitleidserregenden, unfreiwillig komischen, ja geradezu grotesken Subtext, auch dass besagter Neonazi seinen Schäferhund Eva getauft hat, oder wenn Zev sich eine Waffe für sein Vorhaben besorgt und dabei eine schriftliche Gebrauchsanweisung verlangt.
Täuschen und getäuscht werden
Regisseur Atom Egoyan macht den Handel mit Identitäten zum Zentrum seines Films, wie und unter welchen Umständen sie sich bilden und auflösen, wie man rundherum Rätsel konstruiert, um letztlich mitten drin, aber nur fast bei der Wahrheit zu landen. Wie man damit täuschen kann und selbst getäuscht wird. Atom Egoyan: "Es ist wichtig zu verstehen, dass sich die Erzählhaltung des Films an den jeweils konkreten Erfahrungen der Figuren orientiert. Wichtiger als eine nachhaltig realistische Darstellung ist mir also, dass man den Gemütszustand der Hauptfigur stets nachvollziehen kann."
Kontroverse Schlusspointe
Neben einer geradlinigen Chronologie bedient sich der Film auch gerne am Genrekino, eine durchaus kontroverse Schlusspointe inklusive. Trotz des ernsthaften Grundthemas, verteidigt der Film aber seinen Unterhaltungsanspruch entschieden. Daraus wurde ihm so mancher Kritiker-Strick gedreht, zu Unrecht, denn Regisseur Egoyan will auch neue Publikumsschichten erreichten: Zuseher, die möglicherweise noch nicht alles wissen, was man zum Thema wissen muss. Wer im Kino also nicht nur Bestätigung sucht, könnte hier richtig sein.