St. Pölten: Intendantin Rötzer im Porträt

Mit der aus Niederösterreich stammenden Dramaturgin Marie Rötzer wurde im Vorjahr unter 68 Bewerberinnen und Bewerbern wieder eine weibliche Leitung für das Landestheater Niederösterreich gefunden. Heute hat die Intendantin, die zuletzt als Assistentin von Joachim Lux am Hamburger Thalia Theater gearbeitet hat, ihren ersten Spielplan vorgelegt.

Unter dem Motto "Die Welt ist groß" möchte die 47-Jährige aufbauend auf den bisherigen Erfolgen des Hauses das Theater zum Spiel- und Denkraum ohne Grenzen machten. Die neue Intendantin folgt auf Bettina Hering, die Niederösterreich in Richtung Salzburg verlässt: Dort wird sie unter Markus Hinterhäuser Schauspielchefin.

Marie Rötzer

APA/HELMUT FOHRINGER

Kulturjournal, 23.5.2016

Die Welt ist groß, die Welt ist aber auch rund, denn für Marie Rötzers schließt sich in St. Pölten ein Kreis. Hier hat sie als junge Dramaturgin vor über 20 Jahren begonnen, damals war das Landestheater noch ein Vielspartenhaus und Stadttheater. Die große Welt hat Marie Rötzer mittlerweile als Dramaturgin durchmessen, Erfahrungen gesammelt - in der Ukraine, in Berlin, Mainz, Zürich, Graz und Hamburg. Jetzt kehrt die gebürtige Mistelbacherin heim nach St. Pölten.

"Es ist für mich kein Zurückkommen, sondern es ist eine Weiterführung meiner Theaterarbeit. Es sind viele Künstler hier versammelt, auch in dieser ersten Spielzeit, die ich auf meinem Weg getroffen habe, mit denen ich hier in Niederösterreich großes Theater machen möchte", so Rötzer.

Hoffnung auf ein besseres Leben

Dazu gehört etwa Ilja Trojanow. Mit der Dramatisierung seines Romans "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall" wird die Spielzeit eröffnet. Die Themen Heimat und Fremde, Flucht und Migration, die Hoffnung auf ein besseres Leben und alternative Lebensformen durchziehen den gesamten Spielplan: Da gibt es Grillparzers "Goldenes Vlies" ebenso wie die Josef-Winkler-Uraufführung "Ropongi" oder ein Theaterprojekt über die Türkenbelagerung. Thomas Morus‘ jahrhundertealter "Utopia"-Stoff bildet für das Künstlerkollektiv Yzma den Ausgangspunkt für heutige neue Utopien.

"Also das ist das Herzstück des Programms, es ist ein sehr alter Stoff. Von diesem Text wollen wir in unsere Zeit starten. Wir wollen eine Stadtintervention betreiben, nach Niederösterreich fahren. Dabei wollen wir schauen, wo Menschen sind, die alternative Lebensformen für sich gefunden haben", sagt die Intendantin. Die Welt ist groß, globalisiert angstbeladen und krisengeschüttelt. Und das Theater muss einer der wichtigsten Orte bleiben um Zeit zu reflektieren. "Manchmal muss Theater auch die Funktion der Kirche übernehmen in einer säkularisierten Gesellschaft."

Inspiration, Kunstsinnigkeit und Friedfertigkeit

Mit einem starken Kinderprogramm, vielen internationale Gastspiele, aus Berlin, Hamburg oder Zürich, einem Literaturschwerpunkt und der Beibehaltung des erfolgreichen Bürger/innentheaters möchte Marie Rötzer auf den Leistungen ihrer Vorgängerinnen Bettina Hering und Isabella Suppanz aufbauen. Eine Entscheidung, für die auch die bisherige Auslastung von 90 Prozent spricht.

Dass sie keine Regisseurin ist, sondern Dramaturgin ist, hat für Marie Rötzer Vor- und Nachteile zugleich. "Ein Vorteil ist sicher, dass eine andere Draufsicht auf den Probenprozess habe; ich empfinde mich als Familienmutter, und möchte sorgsam mit den Künstlern umgehen. Ein Nachteil ist, dass man nicht in direktem Kontakt mit den Schauspielerinnen ist."

Ausgleichend, offen, sympathisch und bescheiden im Auftreten - startet Marie Rötzer mit einem teilweise erneuerten Ensemble in ihre erste Spielzeit. Welchen Stempel sie dem Haus ganz konkret aufdrücken wird, ist vermutlich erst in einem Jahr absehbar. Die Signalfarbe des Programmheftes ist auf alle Fälle violett - und das steht für Inspiration, Kunstsinnigkeit und Friedfertigkeit.

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